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Erneute Arbeitsunfähigkeit kann nochmaliges betriebliches Eingliederungsmanagement erfordern

von Ronja Seggelke

Sachverhalt: Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung. Der Kläger war im Jahr 2017 an 40 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, 2018 an 61 Arbeitstagen und 2019 an 103 Arbeitstagen. Die Parteien führten am 05. März 2019 ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durch, welches am selben Tag ohne Feststellung bestimmter Maßnahmen beendet wurde. Nach diesem Gespräch war der Kläger erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Am 26. Februar 2022 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich. Der Kläger erhob gegen die Kündigung rechtzeitig Kündigungsschutzklage und berief sich auf die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung. Die Beklagte verwies zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung auf in der Person des Klägers liegende Gründe. Ein erneutes bEM sei vor Ausspruch der Kündigung nicht nochmals durchzuführen gewesen.

Der Kläger hatte in den Vorinstanzen sowie vor dem BAG Erfolg.

Entscheidung: Nach dem Urteil des BAG (Urteil vom 18. November 2021 – 2 AZR 138/21) sei die Kündigung des Klägers unverhältnismäßig und damit nicht sozial gerechtfertigt gewesen. Die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass keine zumutbare Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Verhältnismäßigkeit nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG trage der Arbeitgeber. Sei dieser nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet gewesen und dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, sei er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM sei zwar nicht selbst milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiere aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sodass mit Hilfe des bEM mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden könnten.

In diesem Zusammenhang entschied das BAG, dass § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX derart zu verstehen sei, dass grundsätzlich dem Arbeitnehmer nochmals ein bEM anzubieten sei, wenn dieser innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkranke. Die einmalige Durchführung eines bEM innerhalb des Jahreszeitraums reiche nicht aus.

Diese Auslegung sei durch den Sinn und Zweck eines bEM begründet. Dieser bestehe in einer möglichst dauerhaften Sicherung des Arbeitsverhältnisses, durch eine geeignete Gesundheitsprävention. Ein Handlungsbedarf für eine Sicherung des Arbeitsverhältnisses bestehe bereits mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen, die sich auf nicht mehr als ein Jahr verteilen würden. Der Sechs-Wochen-Zeitraum sei die kritische Schwelle, die unter weiteren Voraussetzungen zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung führen könne und damit ein Handeln des Arbeitgebers gebieten würden. Ein weiteres Zuwarten ändere nichts an der Bestandsgefährdung durch die im Jahreszeitraum erneut aufgetretenen Fehlzeiten, vielmehr drohe, dass neue Zeiten von Arbeitsunfähigkeit hinzuzukommen würden. Ziel des bEM sei es festzustellen, welche gesundheitlichen Einschränkungen die Arbeitsunfähigkeitszeiten versursacht haben und gleichzeitig Möglichkeiten zur Überwindung der bestehenden Arbeitsunfähigkeit und zur Prävention einer erneuten Arbeitsunfähigkeit zu erarbeiten. Dadurch solle ein möglichst dauerhafter Bestand des Arbeitsverhältnisses gefördert werden.

Bei der Durchführung eines bEM können jedoch nur Erkrankungen berücksichtigt werden, die für Arbeitsunfähigkeitszeiten im Zeitraum bis zum Abschluss des bEM ursächlich waren. Ebenso können dabei nur die bis zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen betrieblichen Abläufe und Verhältnisse betrachtet werden. Sowohl die Krankheitsursache als auch die betrieblichen Umstände können sich aber nach Abschluss des bEM geändert haben und erfordern somit eine erneute Beurteilung und Durchführung eines bEM. Ausnahmsweise bedürfe es nicht der Durchführung eines erneuten bEM, wenn während eines noch laufenden bEM weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen hinzukommen würden, da in diesem Fall eine Einbeziehung möglicher Veränderungen in den Krankheitsursachen oder betrieblichen Verhältnissen in das laufende Verfahren möglich sei.

Hinweis: Die Entscheidung ermöglicht keine endgültige Klärung der Frage, wann ein bEM als abgeschlossen anzusehen ist. Das BAG stellt das bEM vielmehr als Suchprozess ohne natürliches Ende dar. Ein Abschluss sei erst dann anzunehmen, wenn neben dem Arbeitgeber auch der Arbeitnehmer und alle beteiligten Stellen keine weiteren ernsthaften Ansätze zur Identifikation zielführender Präventionsmaßnahmen sehen würden. Der Arbeitgeber kann demnach nur einseitig einen Abschluss des bEM herbeiführen, wenn er unter Fristsetzung zur abschließenden Stellungnahme hinsichtlich derartiger Maßnahmen auffordert.

Die zusätzlich in der Entscheidung konkretisierten Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers zur Nutzlosigkeit eines bEM werden Arbeitgeber vor weitere Probleme stellen. Nach dem BAG obliege es dem Arbeitgeber darzulegen, dass

  • der Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz, auch mit leidensgerechten Anpassungen und Veränderungen, nicht möglich ist,
  • alternative Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen,
  • andere, dem Arbeitgeber zumutbare Maßnahmen nutzlos sind,
  • keine Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden können, die zum Ausschluss oder zur Verringerung der Fehlzeiten führen würden,
  • künftige Fehlzeiten nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen des Rehabilitationsträger vermieden werden können und
  • keine Möglichkeit zur Entwicklung von Selbstheilungskräften besteht.

Abstufungen innerhalb der Darlegungslast seien nur anzunehmen, falls dem Arbeitgeber die Krankheitsursache unbekannt sei. Durch diese umfangreiche Darlegungslast ist anzunehmen, dass es in der Praxis, jedenfalls mittleren bis größeren Unternehmen, nicht gelingen wird, die Nutzlosigkeit eines nicht durchgeführten bEM darzulegen.

Der Arbeitgeber muss vor einer personenbedingten Kündigung ein bEM durchführen. Ein solches bEM muss ordnungsgemäß erfolgen. Dies bedeutet insbesondere, dass die Einladung zum bEM und die Aufklärung des Arbeitnehmers korrekt vorgenommen werden müssen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 20.10.2021 (Az. 4 Sa 70/20) hinzuweisen. Der Arbeitgeber hatte hier in der Aufklärung zum Umgang mit den Daten darauf hingewiesen, dass die Standortleitung die Informationen zum bEM erhält, wenn Veränderungen am Arbeitsplatz als Folge des bEM erfolgen müssen. Das LAG sah dies als zu weitreichend an, da die Standortleitung nicht Beteiligte des bEM Verfahrens war. Ist das bEM ordnungsgemäß eingeleitet und wirkt der Arbeitnehmer nicht oder nur unzureichend mit, muss der Arbeitgeber das bEM beenden. Wie er dies zu tun hat, ist unklar. Auch hier wird er wieder das Risiko tragen, dass die „Beendigung“ in den Augen eines Gerichts nicht ordnungsgemäß erfolgte und damit das bEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

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