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Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich

BAG v. 03.06.2025 – 9 AZR 104/24

 

 

Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer nicht auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten. Dies gilt auch bei einem gerichtlichen Vergleich und selbst dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht und absehbar ist, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr nehmen kann. Um diesen gesetzlich verankerten Grundsatz ging es in einem Rechtsstreit, mit dem sich das BAG im Juni dieses Jahres beschäftigte.

 

Streit um die Urlaubsabgeltung

 

Die ehemaligen Arbeitsvertragsparteien streiten über die Abgeltung von sieben Tagen gesetzlichem Mindesturlaub aus dem Jahr 2023. In einem gerichtlichen Vergleich wurde am 31.03.2023 vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2023 endet. Obwohl der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gesamten Kalenderjahr 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war und daher seinen Urlaub faktisch nicht nehmen konnte, regelte der Vergleich: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Im Rahmen der vor dem Vergleichsschluss geführten Verhandlungen hatte die Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers darauf hingewiesen, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne. Die Arbeitgeberin hatte jedoch ein weiteres Entgegenkommen abgelehnt und der Kläger hatte dem vorgeschlagenen Vergleich schließlich zugestimmt. Die Prozessbevollmächtigte hatte in diesem Zusammenhang ihren Hinweis wiederholt, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden kann. Im Mai 2023 forderte der ehemalige Mitarbeiter die Arbeitgeberin sodann zur Abgeltung der sieben Urlaubstage aus dem Jahr 2023 auf.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht verurteilten die Arbeitgeberin zur Zahlung der Urlaubsabgeltung. Die Revision hatte keinen Erfolg. Das BAG schloss sich den Vorinstanzen an und entschied, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs aus 2023 infolge der Regelung im Prozessvergleich nicht erloschen sei und mangels Schutzwürdigkeit der Arbeitgeberin trotz des widersprüchlichen Verhaltens des Arbeitnehmers von diesem auch noch geltend gemacht werden könne.

 

Verzicht im bestehenden Arbeitsverhältnis stets unwirksam

 

Die Vereinbarung, Urlaubsansprüche seien „in natura gewährt“, regele einen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs und sei daher unwirksam (§ 134 BGB). Im bestehenden Arbeitsverhältnis könnten weder der Anspruch auf Gewährung von Urlaub noch der erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehende Anspruch auf Urlaubsabgeltung ausgeschlossen oder beschränkt werden – auch nicht durch gerichtlichen Vergleich. Dies gelte selbst dann, wenn das bestehende Arbeitsverhältnis durch gerichtlichen (Abfindungs-)Vergleich vollständig „bereinigt“ werden solle, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststehe und sich im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses konkret abzeichne, dass der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr nehmen könne.

 

Kein Tatsachenvergleich bei unstreitigem Sachverhalt

 

Zwar sei grundsätzlich denkbar, dass sich die Parteien in einem sog. „Tatsachenvergleich“ („Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“) über das Bestehen oder Nichtbestehen der tatsächlichen Voraussetzungen für den Urlaubs(abgeltungs-)anspruch einigen. Dies setze allerdings voraus, dass überhaupt eine Unsicherheit bezüglich der tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs bestehe, die durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden könne. Soweit zwischen den Arbeitsvertragsparteien aber kein Streit über die tatsächlichen Voraussetzungen bestehe, scheide ein sog. Tatsachenvergleich aus. Vorliegend stand aufgrund der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters fest, dass diesem für das Jahr 2023 noch sieben Urlaubstage zustanden. Mangels Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs kam ein Tatsachenvergleich daher nicht in Betracht.

 

Ausgleichsklausel erfasst Urlaubsanspruch nicht

 

Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Urlaubsabgeltung sei auch nicht durch die in dem Vergleich geregelte Ausgleichsklausel („Die Parteien sind sich darüber einig, dass über die hier geregelten Ansprüche hinaus weitere Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund, nicht mehr gegeneinander bestehen“) erloschen. Soweit diese den Urlaubsanspruch überhaupt erfasse, stehe dessen Erlöschen ebenfalls § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG entgegen.

 

Geltendmachung des Urlaubsanspruchs nicht treuwidrig

 

Dem ehemaligen Arbeitnehmer sei es schließlich auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Ausschlusses der Abgeltung seines Urlaubs zu berufen. Zwar verhalte sich der Arbeitnehmer widersprüchlich, wenn er einerseits der Regelung im Vergleich zugestimmt habe und andererseits nunmehr die Abgeltung seines Mindesturlaubs verlange. Andererseits konnte die Regelung in dem Vergleich kein schutzwürdiges Vertrauen bei der Arbeitgeberin begründen. Diese habe mit Rücksicht auf die Hinweise der Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers auf die Unwirksamkeit der Regelung weder auf deren Wirksamkeit noch darauf vertrauen können, dass der Arbeitnehmer seinen Abgeltungsanspruch nicht geltend machen würde.

 

Vorsorglich: Kürzung vereinbarter Abfindung

 

In der Praxis werden laufend Vergleiche mit entsprechenden Regelungen geschlossen – auch im noch bestehenden Arbeitsverhältnis. Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass das Ausweichen auf den sog. Tatsachenvergleich kein „Allheilmittel“, sondern an Voraussetzungen gebunden ist. Liegen diese nicht (sicher) vor, sollten sich Arbeitgeber zumindest durch Vereinbarung der Kürzung des vereinbarten Abfindungsbetrages um den Bruttobetrag einer ggf. zu zahlenden Urlaubsabgeltung so weit als möglich vor entsprechenden Forderungen schützen.

Wichtig: Die Entscheidung betrifft ausschließlich den Fall, dass der Urlaubsausschluss geregelt wird, während das Arbeitsverhältnis noch besteht. Ist das Arbeitsverhältnis bereits beendet, kann über den dann schon entstandenen Anspruch auf Urlaubsabgeltung selbstverständlich verfügt werden.

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Dr. Jutta Cantauw

Fachanwältin für Arbeitsrecht

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