Die fristgemäße Zustellung das Arbeitsverhältnis beendender Kündigungsschreiben ist in der Praxis ein regelmäßiger Streitpunkt. Gerade bei einer Zustellung des Kündigungsschreibens am Monatsende kommt der Frage, ob dieses noch rechtzeitig zugestellt wurde, mitunter wirtschaftlich erhebliche Bedeutung zu. Juristisch handelt es sich dabei um die Fragestellung, wann eine sog. Willenserklärung, mithin die Kündigungserklärung, unter Abwesenden bei Einschaltung einer Postzustellung zugeht.
Zugang einer Erklärung unter Anwesenden vs. einer Erklärung unter Abwesenden
Anders als bei einem Kündigungsschreiben, das dem Arbeitnehmer persönlich übergeben wird und in entsprechender Anwendung des § 130 BGB direkt in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt und ihm dadurch die Kenntnisnahme vom Inhalt zumindest ermöglicht, stellt sich die Sachlage der Abgabe einer Willenserklärung unter Abwesenden (also bspw. bei der Zusendung via Post) komplexer dar. So fallen bei einer postalischen Übersendung eines Kündigungsschreibens und mithin der Abgabe einer Willenserklärung unter Abwesenden die Abgabe der Erklärung einerseits und Möglichkeit deren Kenntnisnahme durch den Empfänger andererseits auseinander. Die abgegebene Erklärung wird erst mit ihrem Zugang wirksam. Zu einem Wechsel aus dem sog. Risikobereich des Erklärenden in den Risikobereich des Empfängers kommt es, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass der Empfangende unter gewöhnlichen Verhältnissen üblicherweise die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. dazu etwa auch BAG v. 22.08.2019 – 2 AZR 111/19). Der Empfänger hat dabei grundsätzlich die Risiken seines räumlichen Machtbereichs zu tragen.
Kündigung zum Ende des Jahres oder zum Ende des Monats März des Folgejahres – Was sind „postübliche Zustellzeiten“?
Die Parteien des vom BAG entschiedenen Rechtsstreits stritten über die Frage, ob das vom 28.09.2021 datierende Kündigungsschreiben des Arbeitgebers, welches postalisch übersandt und sodann unstreitig am 30.09.2021 von einem Bediensteten der Deutschen Post in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin eingeworfen worden war, das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.12.2021 beendete. Maßgeblich war eine arbeitsvertragliche Kündigungsfrist von einem Vierteljahr zum Quartalsende. Die Klägerin war dagegen der Auffassung, dass eine Beendigung erst zum 31.03.2024 in Rede stehen könne, da sie einen Einwurf des Schreibens in ihren Hausbriefkasten zu den „üblichen Postzustellzeiten“ bestritt und mit einer Entnahme durch sie am selben Tag (dem 30.09.2021 als letztem Tag des Monats September) nicht mehr zu rechnen gewesen sei, so dass vom Zugang erst am 01.10.2021 (und mithin von einer Beendigung Ende März des Folgejahres) auszugehen wäre. Dagegen wandte der Arbeitgeber ein, dass die „ortsüblichen Zustellzeiten“ doch gerade durch das tatsächliche Zustellverhalten der Bediensteten der Post geprägt würden. Für einen Zugang außerhalb dieser Zeiten gebe es vorliegend keinen Hinweis.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gingen von einer Beendigung zum 31.12.2021 und mithin einem Zugang des Schreibens am 30.09.2021 aus. Das BAG bestätigte dies und nahm einige über den konkreten Fall hinaus bedeutsame Ausführungen vor.
Interesse der Rechtssicherheit: Generalisierende Betrachtung geboten
Das BAG füllt – unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung – zunächst den Begriff der „gewöhnlichen Verhältnisse“ der Kenntnisnahmemöglichkeiten durch den Arbeitnehmer als Empfänger der Kündigungserklärung näher aus. Der Einwurf in einen Briefkasten bewirke den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme der Post zu rechnen sei. Dabei sei, so das BAG, gerade nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit sei vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, sei es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände gehindert gewesen sei. Ihn treffe jedenfalls die Obliegenheit (die sog. „Pflicht gegen sich selbst“), die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlasse er dies, werde der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen.
Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechungslage, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar im Anschluss an die „üblichen Postzustellzeiten“ zu rechnen sei, sei nicht zu beanstanden (vgl. so bereits BAG v. 22.03.2012 – 2 AZR 224/11). Die örtlichen Zeiten der Postzustellung stellen zwar ggf. nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. Zu diesen könne z.B. eine Vereinbarung mit dem Postboten über persönliche Zustellzeiten zählen. Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten gehören dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern seien vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen.
„Beweis des ersten Anscheins“ dafür, dass die Post zu den „üblichen Postzustellzeiten“ eingeworfen wurde
Nach Auffassung des BAG habe das LAG daher zu Recht angenommen, dass ein sog. „Beweis des ersten Anscheins“ (verkürzt: Anscheinsbeweis) bestehe, dass ein Kündigungsschreiben am Zustelltag auch zu den üblichen Postzustellzeiten in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin eingelegt wurde. Ein Anscheinsbeweis greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststehe, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweise. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises begründen jedoch weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweisvermutung. Ein Anscheinsbeweis werde vielmehr bereits dadurch erschüttert, dass der Prozessgegner (vorliegend also die Arbeitnehmerin als Empfängerin der Kündigungserklärung) atypische Umstände des Einzelfalls darlege und im Fall des Bestreitens durch den Arbeitgeber Tatsachen nachweise, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelege.
Bei Zustellung durch Deutsche Post AG: Zustellung zu den „üblichen Postzustellzeiten“
Vorliegend sei das Kündigungsschreiben nach den unstreitigen Feststellungen des BAG von der Post am 30.09.2021 in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin gelegt worden. Allein dies begründe den Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Einwurf innerhalb der postüblichen Zustellzeiten erfolgt sei. Maßgeblich sei allein – wie der Arbeitgeber im Verfahren ähnlich vorgetragen hatte – der Umstand, dass sich die üblichen Postzustellungszeiten aus der Arbeitszeit der Postbediensteten ergeben und die Zustellung vorliegend durch einen solchen Bediensteten erfolgt sei. Die postüblichen Zustellzeiten werden – sofern (was das BAG bemerkenswerterweise anmerkte) nicht andere Zustelldienste einen maßgeblichen Anteil an der Postzustellung hätten und diese außerhalb der Arbeitszeit der Briefzusteller der Deutschen Post AG vornehmen würden – durch das Zustellverhalten von Briefzustellern der Deutschen Post AG geprägt. Diese hätten die Zustellungen im Rahmen der ihnen zugewiesenen Arbeitszeiten zu bewirken. Dabei komme es entgegen der Ansicht der Arbeitnehmerin auch nicht darauf an im konkreten Fall eine genaue Uhrzeit zu bestimmen, zu der in dem örtlichen Postbezirk die Zustellung erfolge. Diese könne schließlich – je nach der Arbeitszeit und der Organisation des jeweiligen Zustellers – variieren. Durch ihren Vortrag habe die Arbeitnehmerin den Beweis des ersten Anscheins somit nicht erschüttert, da sie keine atypischen Umstände des Einzelfalls dargelegt habe, die die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegten.
Nach wie vor ungeklärt: Begründet Einwurfeinschreiben Anscheinsbeweis für Zugang des Schreibens?
Das BAG hatte damit nicht über die nach wie vor umstrittene und praktisch sehr relevante Frage zu entscheiden, ob die Vorlage des Einlieferungsbelegs und einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers bei einem sog. Einwurfeinschreiben (dazu sowie zur Abgrenzung der Zustellarten vgl. infomaat-Beitrag LP 2.2024), welches wegen seiner Kostengünstigkeit im Vergleich zur (indes erheblich rechtssichereren) Zustellung durch einen Boten beliebt ist, einen Beweis des ersten Anscheins für einen Einwurf des Schreibens an dem auf dem Auslieferungsbeleg genannten Tag begründen kann.
Klar dürfte nach der Entscheidung aber sein: Wenn zwischen den Parteien der Einwurf an einem Tag nicht streitig ist, dann erfolgte der Einwurf zu „üblichen Postzustellzeiten“ und die Willenserklärung gilt als zugegangen – jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber die Deutsche Post AG für die Zustellung nutzte.