Versorgungszusagen enthalten häufig die Anspruchsvoraussetzung, dass der Mitarbeiter für den Bezug einer Betriebsrente, insbesondere im Fall der „Invalidität“, beim Arbeitgeber ausgeschieden sein muss. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass nicht Ansprüche auf Arbeitsvergütung einerseits und auf Ruhegeld andererseits gleichzeitig entstehen. Der Arbeitgeber hat zudem ein legitimes Interesse an der Planungssicherheit für den Arbeitsplatz. Auf Seiten des Mitarbeiters besteht demgegenüber die Problematik, dass er gezwungen ist, über eine Aufgabe seines Arbeitsverhältnisses zu entscheiden; am Bestand des Arbeitsverhältnisses besteht dabei ein besonderes Interesse, wenn die Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – wie im Regelfall – zunächst nur befristet gewährt wird (vgl. § 102 Abs. 2 SGB VI). Nach der älteren Rechtsprechung des für Betriebsrenten zuständigen 3. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wurde das Erfordernis einer vorherigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch bei Invaliditätsrenten dennoch grundsätzlich gebilligt (vgl. BAG v. 09.01.1990 – 3 AZR 319/88 und BAG v. 05.06.1984 – 3 AZR 376/82). In einem Urteil aus dem Jahr 2021 (vgl. BAG v. 13.07.2021 – 3 AZR 298/20) schien sich das BAG von dieser bisherigen Rechtsprechung aber verabschieden zu wollen und sah in einer Ausscheidensklausel für den Bezug einer betrieblichen Invaliditätsversorgung eine unangemessene Benachteiligung des Versorgungsberechtigten.
„Kehrtwende“ des BAG – Ausscheidensklausel bleibt zulässig
Im vorliegenden Urteil vom 10.10.2023 macht das BAG einen deutlichen Schritt zurück zu seiner früheren Rechtsprechung und nimmt eine klare Abgrenzung zum Urteil aus dem Jahr 2021 vor. Zwar unterwirft das BAG auch in der vorliegenden Entscheidung die Ausscheidensklausel einer Inhaltskontrolle nach AGB-Recht (§§ 307 ff. BGB). Anders als noch im Jahr 2021 kommt das BAG jetzt aber zu dem Ergebnis, dass das Erfordernis einer rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Mitarbeiter nicht unangemessen benachteiligt. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, keine Doppelleistungen erbringen zu müssen und Planungssicherheit zu haben, sei dem Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zumindest gleichgewichtig. Dies gelte auch dann, wenn die gesetzliche Erwerbsminderungsrente nur befristet bewilligt werde. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, einen zeitlichen Gleichklang mit dem (rückwirkenden) Bezugsbeginn der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente herzustellen; er ist nicht gehalten, sich den Regeln der gesetzlichen Sozialversicherung anzuschließen und für die betriebliche Versorgung gleiche oder entsprechende Regeln aufzustellen. Eine Einschränkung bleibt aber auch nach der vorliegenden Entscheidung: Die im Streit stehende Versorgungsordnung knüpfte für den Begriff der Invalidität an den Bezug der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente an, der Arbeitnehmer kannte mit der Bewilligung der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente daher alle relevanten Umstände und den Zeitpunkt ihres Eintritts. Wenn in der Versorgungsordnung aufgrund eines eigenständigen Invaliditätsbegriffes oder Verfahrens zu deren Feststellung die Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beenden muss, ohne zu wissen, ob er überhaupt einen Anspruch auf die betriebliche Invaliditätsversorgung hat, wird dies vom BAG wohl weiterhin als unangemessene Benachteiligung und damit als unwirksame Regelung angesehen.
Praxistipp – klare und eindeutige Regelungen schaffen
Wichtig ist in jedem Fall, verständliche und eindeutige Anspruchsvoraussetzungen für die Versorgungsleistungen festzulegen, die sowohl inhaltlich als auch zeitlich klar festlegen, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf die Versorgungsleistung besteht. Dies gilt nicht zuletzt auch für den Begriff des Ausscheidens. Bei der Gestaltung von Versorgungsordnungen ist dringend eine ausdrückliche Klarstellung zu empfehlen, ob mit dem Ausscheiden die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder lediglich die vollständige Suspendierung der Hauptleistungspflichten gemeint ist, um Streitigkeiten über den Zeitpunkt des Beginns der Leistungen, insbesondere bei langanhaltenden Erkrankungen, zu vermeiden. Im vorliegenden Fall kam das BAG durch Auslegung zu dem Ergebnis, dass es auf die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ankommt. Es gab aber auch Fälle, in denen das Gericht zu dem Ergebnis kam, dass ein rein faktisches Ausscheiden aus der Beschäftigung ausreicht (vgl. BAG v. 23.03.2021 – 3 AZR 99/20). Zweifel bei der Auslegung gehen zu Lasten des Arbeitgebers und unter mehreren vertretbaren Ergebnissen gilt das für den Arbeitnehmer günstigere.