Steigende Inflation – Betriebsrentenanpassung im Fokus
31.07.2023

Abgrenzung eines Kapitalwahlrechts von einer Ersetzungsbefugnis

Billiges Ermessen ist die Grenze für die Ausübung einer Ersetzungsbefugnis

BAG v. 17.01.2023 – 3 AZR 501/21

 

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, anstelle einer betrieblichen Altersrente eine Einmalzahlung zu leisten. Der Kläger war bei der Beklagten ab 1992 beschäftigt. 1997 erteilte sie ihm eine Versorgungszusage und schloss eine Rückdeckungsversicherung ab. 2005 behielt sie sich in einem Nachtrag das Recht vor, anstelle der Renten eine „wertgleiche, einmalige Kapitalabfindung“ zu zahlen. Die Höhe der Kapitalzahlung sollte „dem Barwert der künftigen Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften, ermittelt nach (…) § 6a EStG zum letzten Bilanztermin vor der Abfindung“ entsprechen. Der Kläger schied nach Vollendung seines 63. Lebensjahres aus. Rund zwei Jahre später teilte die Beklagte mit, sie mache von ihrem Recht Gebrauch, eine Kapitalabfindung zu zahlen und bezifferte diese beruhend auf einem vom Versicherer ermittelten Barwert mit rund 12,5 je EUR 1,00 Altersrente pro Jahr. Der Kläger begehrte die Zahlung der Rente. Es handele sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die sich am Transparenzgebot messen lassen müssten. Zudem entspreche die Entscheidung nicht billigem Ermessen.

Das ArbG wies die Klage ab; das LAG die Berufung zurück. Der 3. Senat gab der Revision des Klägers statt und verwies 
– mangels Möglichkeit abschließender Beurteilung auf Basis bisheriger Feststellungen – die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.

 

Rechtsnatur von Kapitalwahlrecht und Ersetzungsbefugnis | kein Verstoß gegen § 3 BetrAVG

 

Bei der in der Versorgungszusage dem Arbeitgeber eingeräumten Möglichkeit, anstelle der Rente eine wertgleiche, einmalige Kapitalabfindung zu zahlen, handelte es sich nach Auffassung des BAG – anders als dies das LAG angenommen hatte – nicht um ein Kapitalwahlrecht im Sinne einer Wahlschuld nach § 262 BGB.

Eine Wahlschuld iSd. § 262 BGB liege dann vor, wenn mehrere verschiedene Leistungen, die als Einzelleistungen spezifiziert sind, in der Weise geschuldet seien, dass nach Wahl des Schuldners eine – die gewählte – bewirkt werden müsse. In einer solchen Konstellation umfasse die schuldrechtliche Bindung zunächst alle Einzelleistungen, zu erbringen sei jedoch nur die nach der Wahl als von Anfang an allein geschuldet anzusehende. Die Wahlschuld konkretisiere sich erst nach der Ausübung des Wahlrechts auf eine der geschuldeten Leistungen. In der vorliegenden Gestaltung schuldete die Beklagte aber nicht „mehrere Leistungen“. Vielmehr räume ihr die Zusage das Recht ein, die eigentlich geschuldete Zahlung laufender Renten durch eine einmalige Zahlung zu ersetzen. Bei einer solchen Gestaltung handele es sich um eine sog. Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa), die im Gesetz nicht geregelt aber anerkannt sei. Die Ersetzungsbefugnis räume das Recht ein, ein Schuldverhältnis nachträglich inhaltlich zu ändern. Es sei von Anfang an bestimmt und die Leistungspflicht festgelegt. Es werde nur eine Leistung geschuldet und nicht mehrere. In der vorliegenden Versorgungszusage sei daher eine Rentenzahlung zugesagt, deren Ersetzung durch eine Kapitalleistung vorbehalten sei. Eine Ersetzungsbefugnis stelle – wenn bis zum Versorgungsfall ausgeübt – auch keine unzulässige Abfindung einer Anwartschaft bzw. laufender Rentenleistungen iSv. § 3 Abs. 1 BetrAVG dar. Mit ihr werde nicht auf eine Anwartschaft oder eine laufende Leistung verzichtet, sondern nach Ausübung der Ersetzungsbefugnis vielmehr der Anspruch aus der Versorgungszusage erfüllt.

 

AGB-Kontrolle des Änderungsvorbehalts iSd. § 308 Nr. 4 BGB

 

Zwar handele es sich um einen Änderungsvorbehalt, der jedoch – sofern die AGB-Kontrolle eröffnet ist, § 310 Abs. 4 BGB – der Kontrolle am Maßstab von § 308 Nr. 4 BGB standhalte. Hiernach ist in AGB die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern, unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Teil zumutbar ist. Der Arbeitgeber habe grundsätzlich ein legitimes Interesse daran, sich vorzubehalten, die versprochene Zahlung laufender Renten durch eine wertgleiche einmalige Kapitalleistung zu ersetzen, da es sich bei einer Versorgungszusage um eine langlaufende, im Zeitablauf Unwägbarkeiten unterworfene Leistungsverpflichtung handele. Dem Interesse des Arbeitnehmers, dass ihm bereits erdientes Entgelt nicht unmittelbar vor Eintritt des Versorgungsfalls wieder entzogen werde, obwohl er seine Gegenleistungen bereits erbracht habe, sei in der vorliegend gewählten Klausel dadurch Rechnung getragen, dass die zugesagte Rentenzahlung nur durch eine wertgleiche Kapitalleistung ersetzt werden könne. Bei bestehender Gleichwertigkeit erhalte der Arbeitnehmer die volle Gegenleistung, nur in anderer Form. Laufende Rentenzahlungen und einmalige Kapitalleistungen seien in Anknüpfung an bereits bestehende Rechtsprechung des BAG grundsätzlich gleichwertige Formen, die bei der vorliegenden Ausgestaltung einer Ersetzungsbefugnis grundsätzlich durch eine andere, wertgleiche Leistung ersetzt werden könne.

 

Billiges Ermessen bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis nach § 315 BGB und „Gleichwertigkeit“

 

Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis müsse aber billigem Ermessen iSv. § 315 BGB entsprechen. Dies wäre der Fall, wenn Interessen der Beklagten an einer Ersetzung bestanden, die die Interessen des Klägers an der Beibehaltung der Rentenzahlungen überwogen (vgl. bereits BAG v. 14.05.2019 – 3 AZR 150/17). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Bestimmung der Billigkeit entspreche, trage der Bestimmungsberechtigte – hier also der Arbeitgeber. Der Versorgungsempfänger habe im Grundsatz gewichtige Interessen an einer Beibehaltung einer Rentenzahlung. Für den Versorgungsschuldner könne demgegenüber ein Interesse an der Umstellung auf eine Kapitalleistung erwachsen, etwa um einen bei der Erteilung der Zusage nicht vorhersehbar gestiegenen Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Auch könne der Umstand, dass er seinen Betrieb einstellen, übergeben oder stilllegen und deshalb die Versorgungszusage früher erfüllen möchte, ebenfalls ein für die Ersetzung sprechendes Interesse sein. Ebenso zugunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen wäre nach dem BAG eine mit der Ersetzung einhergehende Erhöhung der Kapitalleistung gegenüber dem versicherungsmathematisch ermittelten Barwert. Aber auch wirtschaftliche Probleme des Arbeitgebers könnten im Zusammenhang mit einer durch die Ersetzung eintretenden Verbesserung bei der Bilanzierung und Finanzierung der Versorgungsleistung beachtlich sein.

Bemerkenswert erscheint, dass das BAG die zugrunde gelegte versicherungsmathematische Kapitalisierung (12,5 je EUR 1,00), welche angesichts des angesetzten Rechnungszinses nach § 6a BetrAVG (6 %) hinter dem Barwert eines „realistischen“ Rechnungszinses (vgl. z.B. § 253 Abs. 2 HGB) gelegen haben dürfte, ggf. anzuerkennen scheint, jedenfalls aber weitgehend unkommentiert ließ. Das BAG merkte nur an, dass zum einen „bei bestehender Gleichwertigkeit“ der Arbeitnehmer die volle Gegenleistung, nur in einer anderen Form erhalte, zum anderen aber bei Ausübung des billigen Ermessens zu berücksichtigen wäre, wenn der Arbeitgeber eine mit der „Ersetzung einhergehende Erhöhung (…) gegenüber dem versicherungsmathematischen Barwert“ vornehme. Es bleibt abzuwarten, wie diese Ausführungen in der zu erwartenden Entscheidung des LAG umgesetzt werden und wie etwaige weitere Entscheidungen Präzisierungen vornehmen. Dies insbesondere, da das BAG in einer Parallelentscheidung (vgl. BAG v. 17.01.2023 – 3 AZR 220/22) eine Unzumutbarkeit der dort verwandten Klausel iSv. § 308 Nr. 4 BGB erblickte, weil diese anstelle einer Altersrente eine Kapitalleistung in Höhe der 10fachen Jahresrente vorsah. Die durch die Ersetzung der laufenden Altersrenten zu zahlende Kapitalleistung bleibe in einem solchen Fall hinter dem Barwert der Altersrente zurück. Der Versorgungsempfänger erhalte in jenem Fall keine „gleichwertige“ Leistung.

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Philipp A. Lämpe

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