Dem Betriebsrat stehen starke Mitbestimmungsrechte bei der Aufstellung allgemeiner Bewertungsgrundsätze (§ 94 Abs. 2 BetrVG) und bei Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen („Auswahlrichtlinien“; § 95 BetrVG) zu.
Was ist mit Beurteilungsgrundsätzen gemeint?
Beurteilungsgrundsätze sind Regelungen, die der Beurteilung von Leistung und Verhalten der Arbeitnehmer dienen. Mit solchen allgemeinen Grundsätzen soll ein einheitliches Vorgehen bei der Beurteilung und ein Bewerten nach einheitlichen Maßstäben ermöglicht und so erreicht werden, dass die Beurteilungsergebnisse miteinander vergleichbar sind. Paradebeispiele für solche mitbestimmungspflichtigen Beurteilungsgrundsätze sind Potentialanalysen, psychologische Tests oder Assessment-Center.
Nicht darunter fallen bloße Stellen- oder Funktionsbeschreibungen. Eine Stellenbeschreibung legt die Funktion einer bestimmten Stelle innerhalb des betrieblichen Geschehens fest. Sie definiert die Aufgabe und die Kompetenz dieser Stelle und beschreibt, welche Tätigkeiten dort im Einzelnen zu ihrer Erfüllung verrichtet werden müssen.
Wofür dienen Auswahlrichtlinien?
Auswahlrichtlinien sind Grundsätze, die der Entscheidungsfindung bei personellen Einzelmaßnahmen dienen sollen, wenn für diese mehrere Arbeitnehmer und Bewerber in Frage kommen. Es sind abstrakt-generelle Grundsätze, welche die für die jeweilige personelle Auswahl maßgeblichen fachlichen, persönlichen und sozialen Gesichtspunkte gewichten. Sinn und Zweck von Auswahlrichtlinien ist es, die jeweilige Personalentscheidung zu versachlichen und für die Betroffenen durch-schaubar zu machen. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er und nicht ein anderer betroffen ist oder umgekehrt. Als Paradebeispiel für Auswahlrichtlinien wird stets das bei einer Sozialauswahl verwendete Punkteschema genannt.
Keine Auswahlrichtlinien sind dagegen bloße Stellen- oder Funktionsbeschreibungen oder Anforderungsprofile. Andererseits sollen die konkreten Kriterien zur Steuerung der Bewerberauswahl wie etwa Schul- oder Berufsbildung, Prüfungsnachweise, erforderliche Grund- und Spezialkenntnisse, Nachweis von Fertigkeiten, Vorpraxis, betrieblicher Werdegang der Mitbestimmung unterliegen.
Einführung von Karrierestufen und Tätigkeitsgruppen vor dem Hintergrund von Equal Pay
Vor dem Hintergrund von Equal Pay passen viele Unternehmen ihre Karrierestufen und Tätigkeitsvergleichsgruppen an. Ob dies ein mitbestimmungspflichtiger Vorgang ist, lässt sich anhand der beschriebenen Grundsätze bei näherer Betrachtung nicht ganz zweifelsfrei bestimmen.
Das Vorliegen von Beurteilungsgrundsätzen würde nur verneint, wenn keine Beurteilung von Leistung und Verhalten der Arbeitnehmer erfolgen würde. Dass das Erreichen einer höheren Karrierestufe nicht von der Leistung oder dem Verhalten des Arbeitnehmers abhängen soll, wäre eher ungewöhnlich (Beispiel: „Senior Accountant“ o.Ä.). Nahe liegt es auch, dass das Unternehmen die Karriereentscheidung nach einheitlichen Maßstäben trifft.
Das Vorliegen von Auswahlrichtlinien würde nur verneint, wenn keine konkreten Kriterien verwendet würden, wie etwa Schul- oder Berufsbildung, Prüfungsnachweise, erforderliche Grund- und Spezialkenntnisse, Nachweis von Fertigkeiten, Vorpraxis oder betrieblicher Werdegang. Es stellt sich die Frage, wie eine Bewerberauswahl ansonsten erfolgen soll. Der Umstand, dass der Leiter der Rechtsabteilung ein abgeschlossenes Jurastudium vorweisen können muss, wäre beispielsweise ein nicht ungewöhnlicher Teil einer Stellenbeschreibung bzw. eines Anforderungsprofils. Andererseits handelt es sich dabei selbstverständlich um ein „Auswahlkriterium“, welches einen gelernten Kfz.-Mechatroniker von der Stelle ausschlösse. In der Tat hat auch nicht jeder Rechtsabteilungsleiter Jura studiert. Es handelt sich somit um kein objektiv zwingendes Kriterium. Die Grenze zwischen einem Anforderungsprofil und einer Auswahlrichtlinie ist mithin fließend. Jedes fachliche Kriterium schränkt mittelbar den Kreis der denkbaren Stelleninhaber ein.
BAG: Kein Zustimmungsverweigerungsgrund bei fehlender Mitbestimmung des Betriebsrats bei Beurteilungsgrundsätzen bzw. Auswahlrichtlinien
Das BAG hatte am 24.09.2024 (1 ABR 31/23) über ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 BetrVG zu entscheiden. Im Frühjahr 2022 schrieb der Arbeitgeber die Stelle eines „Koordinators Elektrotechnik“ aus. Er machte sich während der Bewerbungsgespräche handschriftliche Notizen in Interviewbögen. Darin waren Fragen zu verschiedenen „Profilelementen der Stelle“ aufgeführt, deren Beantwortung mit Punkten zu bewerten war. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur Einstellung desjenigen Bewerbers, der sich durchgesetzt hatte.
Nach Auffassung des Betriebsrats lag der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vor, da der Arbeitgeber ohne Mitbestimmung durch den Betriebsrat Beurteilungsgrundsätze bzw. Auswahlrichtlinien angewendet hatte. Damit habe die Einstellung gegen ein Gesetz verstoßen.
Das BAG schloss sich dem nicht an. Es führte aus, dass die Zustimmungsverweigerung nur möglich sei, wenn die personelle Maßnahme selbst gegen ein Gesetz oder eine sonstige Norm verstößt. Der Zweck der betreffenden Norm müsse darin bestehen, die personelle Maßnahme selbst zu verhindern. Der Zustimmungsverweigerungsgrund bezwecke dagegen nicht, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats – hier nach § 94 und § 95 BetrVG – zu sichern. Zu einer näheren Klärung, ob es sich bei dem vom Arbeitgeber angewendeten Verfahren um die Anwendung von Beurteilungsgrundsätzen oder einer Auswahlrichtlinie handelte, kam es daher nicht mehr.
Abgrenzung zwischen mitbestimmungsfreien Anforderungsprofilen/Stellenbeschreibungen und Beurteilungsgrundsätzen bzw. Auswahlrichtlinien
Es ist zu erwarten, dass die Abgrenzung zwischen mitbestimmungsfreien Anforderungsprofilen/Stellenbeschreibungen einerseits und Beurteilungsgrundsätzen bzw. Auswahlrichtlinien andererseits im Kontext der Umsetzung von Equal Pay noch öfter Gegenstand gerichtlicher Klärungen sein wird. Klar ist zunächst aber, dass eine etwaig unterbliebene Mitbestimmung in diesem Kontext kein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 BetrVG begründet.