100 % Homeoffice – milderes Mittel zur Kündigung?
26.02.2025
Machtwort des BAG – keine digitalen Zugangsrechte der Gewerkschaft zum Betrieb
26.02.2025

„Bist du krank oder betrügst du schon?“ Handlungsmöglichkeiten bei Zweifeln an einer Krankmeldung des Arbeitnehmers

BAG v. 15.01.2025 – 5 AZR 284/24

 

 

Bei Streit über die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit und Entgeltfortzahlung muss zunächst der Arbeitnehmer (AN) die Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs, d.h. seine Arbeitsunfähigkeit, beweisen. Dem kommt er insbesondere durch Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) nach. Der Arbeitgeber (AG) kann dem entgegentreten, indem er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, wodurch sich die Zweifel an der Erkrankung ergeben und so den Beweiswert der AUB erschüttern. Obwohl das BAG seine sehr arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung der letzten Jahre anzupassen scheint, ist es für den AG kein Leichtes, den Beweiswert einer AUB zu erschüttern; ob sich das Gericht auf dessen Seite schlägt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei näherer Betrachtung der arbeitsgerichtlichen Entscheidungen lassen sich vier Fallgruppen herausarbeiten, die helfen können, einen solchen Fall einzuschätzen.

 

Wann ist der Beweiswert einer AUB erschüttert?

 

Zunächst kann das Verhalten eines AN im zeitlichen Zusammenhang mit seiner Erkrankung Zweifel an dem Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit begründen.

  1. Auffällige Verhaltensweisen VOR der Arbeitsunfähigkeit, bspw.: dreimalige Krankschreibung in unmittelbar zeitlicher Nähe zu einem geplanten Urlaub in den vergangenen Jahren (BAG v. 15.01.2025 – 5 AZR 284/24); wiederholte Krankschreibungen vor dem Wochenende, Brücken- oder Feiertagen; Räumen des Arbeitsplatzes oder Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum, für den vorab die Urlaubsgewährung verweigert wurde; Eigenkündigung des AN und Vorlage einer AUB am Folgetag.
  2. Auffällige Verhaltensweisen WÄHREND der Arbeitsunfähigkeit, bspw.: Buchen eines Rückreisetickets aus dem Urlaub und anschließende lange Rückreise trotz ärztlich angeordneter strikter Bettruhe und Bewegungsverbot vor Ablauf der Krankschreibung; Leisten von Tätigkeiten während der Arbeitsunfähigkeit; Führen dienstlicher Telefonate während Erkrankung mit dem Versuch, Kunden abzuwerben (BAG v. 18.09.2024 – 5 AZR 29/24).
  3. Auffällige Verhaltensweisen NACH der Arbeitsunfähigkeit, bspw.: Arbeitsaufnahme bei neuem AG unmittelbar am Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist und zusätzlich überraschende Genesung mitten in der Woche, gleich ob die Kündigung arbeitnehmer- oder arbeitgeberseitig erfolgte (BAG v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23).

Neben den Indizien, die sich aus den äußeren Umständen der Erkrankung ergeben, lässt sich eine vierte Fallgruppe ausmachen, die die angebliche Erkrankung und die AUB als Beweismittel selbst betrifft.

  1. Gesamtschau aus Inhalt der AUB selbst und weiteren Umständen, bspw.: Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit, die die Regelfrist von 14 Tagen nach § 5 Abs. 4 S. 1 AU-RL überschreitet; mehrwöchige Krankschreibung ohne Anordnung einer Wiedervorstellung durch untersuchenden Arzt; direkter Anschluss der Arbeitsunfähigkeit an einen „Heimaturlaub“; zeitlich passgenaue Koinzidenz zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist (BAG v. 21.08.2024 – 5 AZR 248/23).

Nach der Rechtsprechung ist die passgenaue zeitliche Koinzidenz zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigung bereits für sich allein „auffallend und ungewöhnlich“ und damit im Regelfall zur Erschütterung des Beweiswerts geeignet, hinsichtlich der weiteren aufgezeigten Indizien kann dies jedenfalls in der Gesamtschau je nach Einzelfall der Fall sein.

 

Was kann der AG bei Zweifeln an der AUB tun?

 

Die festgestellten Indizien müssen den hohen Beweiswert der AUB erschüttern und müssen daher dokumentiert und gesichert werden. Wichtig: Das BAG stellt eine Gesamtschau an, es sind also alle Zweifel bzw. Umstände zu dokumentieren. Auch die Einholung einer Stellungnahme des medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit auf Grundlage von § 275 Abs. 1a S. 3 SGB V kann eine Option sein. Der AG hat einen solchen Anspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse des AN. Allerdings ist dies meist auf Grund der Dauer des Verfahrens wenig sinnvoll. Die Einstellung der Entgeltfortzahlung ist schließlich der „Königsweg“ für den AG – der wirtschaftliche Schaden durch die vorgetäuschte Erkrankung wird minimiert.

 

Bestehen Handlungs- oder Aufklärungspflichten des AG?

 

Bestehen solche Zweifel, stellt sich die Frage, ob der AG zunächst versuchen muss, den Verdacht durch eigene Ermittlungen auszuräumen, bevor er weitere Maßnahmen ergreifen darf. Muss er bspw. den AN informieren, damit dieser weitere Belege vorlegen oder andere Unstimmigkeiten ausräumen kann, oder von der Möglichkeit der Einholung der Stellungnahme des medizinischen Dienstes Gebrauch machen?

Nach unserer Auffassung ergeben sich derartige Pflichten zur weiteren Aufklärung weder aus § 241 Abs. 2 noch aus § 242 BGB. Leitendes Prinzip von Treu und Glauben ist die Risikozuordnung, die darüber Auskunft gibt, ob ein eingetretener Nach- oder Vorteil überhaupt zwischen den Parteien zu verteilen ist oder bei der Partei zu verbleiben hat, auf deren Seite er eingetreten ist. Hier sind aber gleichrangig eigene Interessen des AG (das eigene Leistungsinteresse) berührt, sodass diesbezüglich keine allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung resultiert. Auch aus dem EFZG ergibt sich eine solche Verpflichtung nicht. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs. 1 EFZG ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht normiert für die Fälle, in denen der AN seinen Nachweispflichten an sich nicht nachkommt. Über die Ausübung muss der AG nicht informieren. Erst recht muss dies gelten, wenn Zweifel an der AUB selbst und somit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG bestehen.

Auch § 275 Abs. 1a S. 3 SGB V eröffnet dem AG nur eine Möglichkeit, regelt aber keine Verpflichtung, diese zu ergreifen, um Aufklärung zu schaffen. Aus den sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen Krankenkasse und Vertragspartei resultiert keine Drittwirkung.

Im Ergebnis gilt: Bei begründeten Zweifeln an der Erkrankung des AN ist der AG nicht hilflos. Dokumentation und (rechtliche) Bewertung der Indizienlage sind jedoch Voraussetzung für einen erfolgreichen Prozess.

Gerne stehen unsere infomaat-Autoren Ihnen bei Fragen zur Verfügung:

Portrait Andre Schiepel Final
Jennifer Frost Portrait Img

André Schiepel

Rechtsanwalt

+49 (0)89 606656-0
E-Mail

 

 

Jennifer Frost

Rechtsanwältin

+49 (0)89 606656-0
E-Mail

© maat Rechtsanwälte