Angefacht durch die Lockdown-Phase der Corona-Pandemie wurden diverse Arbeitsmodelle außerhalb der Betriebsstätte entwickelt, welche sich auch während der Gaskrise durch den Ukraine-Krieg und der langanhaltenden Streik-Phase im Verkehrssektor, als nützliche und auch bei den Mitarbeitenden beliebte Fall-Back-Option erwiesen haben. Ortsflexibles Arbeiten ist mittlerweile zum integralen Bestandteil der modernen Arbeitswelt geworden, so dass es nicht verwunderlich ist, dass nun vermehrt auch die Arbeitsgerichte Rechtsfragen zu dieser Art der Arbeit zu entscheiden haben.
Kein gesetzlicher Anspruch auf ortsflexibles Arbeiten
Zwar plant der Gesetzgeber seit dem Jahr 2019 die individuellen Rechte der Mitarbeitenden in diesem Bereich zu normieren, ein gesetzlicher Anspruch der Mitarbeitenden auf die Tätigkeit außerhalb der Büroräume des Arbeitgebers besteht aber aktuell nicht.
Im Zuge erster Gesetzesentwürfe spricht der Gesetzgeber von „ortsflexiblem Arbeiten“. Daher sei auf das Folgende hingewiesen: Während unter dem gängig gebrauchten Begriff des Homeoffice eine Arbeitsform verstanden wird, bei der Mitarbeitende mindestens einen Teil der vertraglich geschuldeten Leistung – in der Regel mit Hilfe von digitalen Arbeitsmitteln – in ihrem Wohnraum erbringen, charakterisiert das mobile Arbeiten die Tätigkeit bei wechselnden Arbeitsorten (in der Bundesrepublik Deutschland). Das Homeoffice stellt daher eine Unterkategorie des mobilen Arbeitens dar.
Mangels gesetzlicher Grundlage verbleibt es im Ergebnis dabei, dass die Entscheidung über den Arbeitsort dem Arbeitgeber in den Grenzen des Arbeitsvertrags und der Wahrung billigen Ermessens obliegt (§ 106 GewO). Der Arbeitgeber hat bei seiner Entscheidung über den Arbeitsort zwar auch die Interessen des Mitarbeitenden zu berücksichtigen, diese können allerdings nur im absoluten Ausnahmefall überwiegen. Als Ausnahmekonstellationen seien – laut dem LAG – Fallgruppen der leidensgerechten Beschäftigung, eines erheblichen Krankheitsrisikos im Betrieb oder familiäre Notsituationen denkbar. Als Grundvoraussetzung müsse allerdings gegeben sein, dass die (vollständige) Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben außerhalb der Büroräume nach der Art der Tätigkeit möglich ist.
Recht auf ortsflexibles Arbeiten aus dem Arbeitsvertrag & Co.
Da ein gesetzlicher Anspruch auf ortsflexibles Arbeiten bislang nicht existiert, kann sich ein entsprechender Anspruch allenfalls aus dem Arbeitsvertrag, einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag bzw. aus einer Gesamtzusage oder Betriebsvereinbarung ergeben. Dabei ist dem Arbeitgeber überlassen zu entscheiden, ob er seinen Mitarbeitenden anbietet, die vertraglich geschuldete Arbeit im Homeoffice zu leisten.
Auch wenn ortsflexibles Arbeiten von vielen Mitarbeitenden gewünscht ist, kann der Betriebsrat – als Vertretung der Arbeitnehmerschaft – die Einführung dieser Art der Arbeit nicht im Wege der Mitbestimmung erzwingen. Der Betriebsrat hat kein Initiativrecht auf die Einführung mobiler Arbeit. Sofern sich der Arbeitgeber allerdings eigenständig zur Einführung von mobiler Arbeit entscheidet, kommt dem Betriebsrat hinsichtlich der Ausgestaltung von mobiler Arbeit ein Mitbestimmungsrecht zu (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG).
Teilweise sehen aber auch Tarifverträge Rahmenbedingungen für die Umsetzung von ortsflexiblem Arbeiten samt sämtlicher Folgefragen wie dem persönlichen Geltungsbereich, die Beantragung, die Organisation und die Beendigung seitens des Arbeitgebers vor.
100 % Homeoffice ist kein milderes Mittel zur betriebsbedingten (Änderungs-)Kündigung
Im zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber beschlossen, einen seiner Standorte vollständig zu schließen und bot den betroffenen Mitarbeitenden in Form einer betriebsbedingten Änderungskündigung an, ihre Tätigkeit zu unveränderten Bedingungen an einem 240 km entfernten Standort fortzusetzen. Seit der Corona-Pandemie arbeitete der Mitarbeitende – ohne eine darüber getroffene vertragliche Vereinbarung – mehrere Tage pro Woche im Homeoffice, jedoch nie vollständig von zu Hause aus. Nicht fernliegend war daher die Ansicht des Mitarbeitenden, dass der Arbeitgeber verpflichtet gewesen sei, ihm anstelle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in einem 240 km entfernten anderen Standort die vollständige Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen, da seine Tätigkeit dies zulasse und ein Umzug unzumutbar sei. Der Arbeitgeber lehnte dies ab. Der Mitarbeitende habe auch in der Vergangenheit nie zu 100 % im Homeoffice gearbeitet, es gebe keine vergleichbare Tätigkeit, welche zu 100 % im Homeoffice angeboten werde und auch im Übrigen sei die Präsenzarbeit effektiver – dies habe gerade Corona gezeigt.
Eine sog. Änderungskündigung ist eine Kündigung des bestehenden Arbeitsvertrags, die mit dem gleichzeitigen Angebot verbunden ist, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Nimmt der Mitarbeitende die geänderten Bedingungen nicht an, so greift die Kündigung des gesamten Arbeitsverhältnisses. Dies war hier der Fall, sodass das LAG über die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung zu entscheiden hatte.
Eine betriebsbedingte Kündigung erfordert insbesondere eine unternehmerische Entscheidung. Die Arbeitsgerichte prüfen diese nur sehr eingeschränkt darauf, ob sie notwendig, sinnvoll oder zweckmäßig ist. Eine Kündigung ist dann unwirksam, wenn anstelle der Kündigung ein anderes, milderes Mittel existiert. Das LAG Baden-Württemberg hatte sich daher im Ergebnis mit der Frage zu befassen, ob die vollständige Tätigkeit aus dem Homeoffice im Rahmen der unternehmerischen Entscheidung ein milderes Mittel darstellt, das dem Mitarbeiter vor Ausspruch einer betriebsbedingten Änderungskündigung hätte angeboten werden müssen.
Das LAG hielt die betriebsbedingte Änderungskündigung für wirksam. Es führte aus, dass bei einer vertraglichen Homeoffice-Vereinbarung der Arbeitgeber darlegen müsse, weshalb diese Option bei einer Verlagerung der Betriebsstätte nicht mehr in Betracht kommt. Eine solche Vereinbarung fehlte hier jedoch. Ferner lasse die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers keine vollständige Tätigkeit im Homeoffice zu, sondern eine Beschäftigung am 240 km entfernten Standort und eine tageweise Tätigkeit im Homeoffice. Eine Verpflichtung zur Schaffung eines vollumfänglichen Homeoffice-Arbeitsplatzes sehe die unternehmerische Entscheidung im Tätigkeitsbereich des Klägers nicht vor. Eine Verpflichtung zur Schaffung eines solchen Arbeitsplatzes bestehe ebenfalls nicht.
Kurz um: Was nicht als milderes Mittel im Rahmen der unternehmerischen Entscheidung zur Verfügung steht und auch in der Vergangenheit nicht vertraglich vereinbart und gelebt wurde, muss nicht als milderes Mittel angeboten werden.
Mit dieser Entscheidung schließt sich das LAG Baden-Württemberg den bisherigen Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 24.03.2021 – 4 Sa 1243/20) und dem des LAG Hamm (Urt. v. 22.07.2009, 3 Sa 1630/08) an.