Wir sind eine überörtliche Fachkanzlei für Arbeitsrecht und bundesweit tätig. Wir beraten große Konzerne, mittelständische Unternehmen, soziale und öffentlich-rechtliche Organisationen sowie Führungskräfte. Als Spezialisten sind wir auch in der betrieblichen Altersversorgung und an Schnittstellen zum Gesellschafts-, Sozial- und Verwaltungsrecht tätig.
von Cora Alexandra Kosch
Sachverhalt:Die Parteien stritten über einen zusätzlichen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte. Ein langjähriger schwerbehinderter Arbeitnehmer (Behinderungsgrad von 80) verklagte seine Arbeitgeberin u.a. auf Zahlung eines Abfindungsbetrags i.H.v. 2.000 €. Die Beklagte und der Betriebsrat hatten im Juni 2019 einen Sozialplan zur Werkschließung geschlossen. Dieser sieht u.a. für alle Arbeitnehmer, die betriebsbedingt gekündigt werden, eine Abfindung vor, die sich nach der Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor“ berechnet. Außerdem beinhaltet der Sozialplan folgende Regelungen:
“Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte wird ein zusätzlicher Abfindungsbetrag in Höhe von 1.500 EUR brutto gezahlt. Liegt der Grad der Behinderung über 50, gilt Folgendes: Bei einem GdB > 50 beträgt die zusätzliche Abfindung 2.000 € (…)
Der sich insgesamt ergebende Abfindungsbetrag (Gesamtabfindung) wird auf einen max. Höchstbetrag von 75.000 € pro Arbeitnehmer beschränkt.”
Im Juli 2019 kündigte die Beklagte dem Kläger zum Februar 2020 und zahlte ihm eine nach dem Sozialplan gedeckelte Abfindung. Eine zusätzliche Abfindung wegen seiner Schwerbehinderung erhielt er nicht, mit der Begründung, dass sich bereits der nach der Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor“ zu berechnende Teilbetrag seiner Abfindung auf 92.758,07 € belaufe und damit den Höchstbetrag von 75.000 € überschreite. Mit seiner Klage machte der Kläger die Zahlung eines zusätzlichen Abfindungsbetrags i.H.v. 2.000 € geltend. Er vertrat die Auffassung, dass die im Sozialplan enthaltene Höchstgrenze schwerbehinderte Arbeitnehmer benachteilige. Der zum Ausgleich der besonderen – behinderungsbedingten – Nachteile vorgesehene Zusatzbetrag könne dadurch gerade bei älteren schwerbehinderten Arbeitnehmern die beabsichtigte Kompensation nicht bewirken.
Entscheidung: Das ArbG Weiden und das LAG Nürnberg wiesen die Klage ab. Das BAG (Urteil vom 11.10.2022 – 1 AZR 129/21) sprach dem Kläger den zusätzlichen Abfindungsbetrag für seine Schwerbehinderung zu. Der Kläger erfülle mit einem GdB von 80 die Voraussetzungen für die Gewährung des zusätzlichen Abfindungsbetrags. Die im Sozialplan geregelte Höchstbetragsregelung stehe der Zahlung nicht entgegen, da sie gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße und damit nach § 75 Abs. 1 BetrVG unwirksam sei, soweit sie sich auf den zusätzlichen Abfindungsbetrag erstrecke.
Das BAG bestätigte, dass den Betriebsparteien bei der Ausgestaltung von Sozialplänen grundsätzlich Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume zustehen, die Typisierungen und Pauschalierungen einschließen. Hierbei müssen sie jedoch den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG beachten, der darauf abzielt, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbarer Lage sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Mit der Gewährung des zusätzlichen Abfindungsbetrags für schwerbehinderte Arbeitnehmer habe die Beklagte zwar den Umstand berücksichtigt, dass dieser Arbeitnehmergruppe bei einem Verlust des Arbeitsplatzes typischerweise besondere Nachteile entstehen. Insbesondere hätten schwerbehinderte Arbeitnehmer im Allgemeinen größere Schwierigkeiten, sich nach dem Verlust des Arbeitsplatzes wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, als nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer. Durch die Begrenzung der Gesamtabfindung auf 75.000 € pro Arbeitnehmer werde ein Teil der schwerbehinderten Arbeitnehmer, typischerweise die älteren Beschäftigten, jedoch anders behandelt als der übrige Teil der schwerbehinderten Arbeitnehmer. Dies führe zu einer Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der abfindungsberechtigten schwerbehinderten Arbeitnehmer. Gerade bei dieser Altersgruppe könnten diese – von den Betriebsparteien grundsätzlich als ausgleichsbedürftig angesehenen – Nachteile in besonderem Maß eintreten.
Diese Ungleichbehandlung sei auch unter Berücksichtigung des mit der Deckelung verfolgten Zwecks, nämlich der Sicherstellung von Verteilungsgerechtigkeit unter allen vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern vor dem Hintergrund limitierter Sozialplanmittel, nicht gerechtfertigt. Eine Kappung von Beträgen, die als Ausgleich für spezifisch behinderungsbedingte Nachteile bestimmt sind, könne hierdurch nicht gerechtfertigt werden.
Der Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz führe laut BAG dazu, dass die Höchstbetragsregelung unwirksam sei, soweit sie den zusätzlichen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte erfasse. Im Übrigen bleibe der Sozialplan wirksam.
Hinweis: In diesem Fall hatte sich das BAG nicht – wie es auf den ersten Blick den Anschein erwecken mag – mit einer Diskriminierung von schwerbehinderten Arbeitnehmern gegenüber nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern, d.h. einer Ungleichbehandlung aufgrund der Schwerbehinderung, zu befassen. Vielmehr ging es in der Sache um eine Diskriminierung wegen des Alters, wobei – so das BAG – eine nicht gerechtfertigte Gruppenbildung innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer erfolgt war. Mit seinem Urteil hat das BAG klargestellt: Wird schwerbehinderten Arbeitnehmern zur Kompensation von durch die Schwerbehinderung bedingten Nachteilen eine Leistung gewährt, so darf unter diesen Arbeitnehmern nicht eine Altersgruppe – bei der solche Nachteile typischerweise eintreten können – gegenüber einer anderen Altersgruppe benachteiligt werden. Dies hätte jedoch die uneingeschränkte Anwendung der Höchstbetragsregelung zur Folge. Anders beurteilt das BAG die Frage, ob die Deckelung an sich (unabhängig von ihrer Auswirkung auf einen zusätzlichen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte) zulässig sei: Sie führe zwar zu einer mittelbaren Benachteiligung älterer Arbeitnehmer, sei jedoch durch den mit ihr verfolgten Zweck der Verteilungsgerechtigkeit vor dem Hintergrund limitierter Sozialplanmittel gerechtfertigt (vgl. dazu BAG v. 07.12.2021 – 1 AZR 562/20). Höchstgrenzen können demnach weiterhin vereinbart werden – nur sollten zusätzliche Leistungen, die zum Ausgleich durch eine Schwerbehinderung bedingter Nachteile gewährt werden, von der Deckelung ausgenommen werden.