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Krankheitsbedingte Kündigung nach Zustimmung des Integrationsamts und unterbliebenem betrieblichem Eingliederungsmanagement (bEM)

von Philipp A. Lämpe

Sachverhalt: Die Parteien stritten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen, auf krankheitsbedingte Gründe gestützten Kündigung. Die gekündigte Klägerin war beim beklagten Arbeitgeber seit dem Jahre 1999 beschäftigt und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit Ende des Jahres 2014 war sie ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 fand auf Initiative der Arbeitnehmerin ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen. Am selben Tag lud der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin zu einem sog. betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) ein. In § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX heißt es dazu:

„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).“

Die Arbeitnehmerin teilte mit, dass sie an einem bEM teilnehmen, nicht jedoch eine ihr diesbezüglich überlassene datenschutzrechtliche Einwilligung unterzeichnen wolle. Sie stellte vielmehr Rückfragen zu dieser Einwilligung und wählte eigene Formulierungen. In einem auf Initiative des Arbeitgebers durchgeführten Gespräch im Juli 2019 wurde der Arbeitnehmerin erläutert, dass ohne ihre Unterschrift unter die vorformulierte Datenschutzerklärung ein bEM-Verfahren nicht durchgeführt werden könne. Dies bekräftigte die Arbeitgeberseite danach mehrfach; eine Unterschrift unterblieb. Von Mitte September bis Ende Oktober 2019 war die Arbeitnehmerin beim Arbeitgeber im Rahmen einer Wiedereingliederung tätig. Mitte Dezember 2019 beantragte der Arbeitgeber sodann jedoch beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Arbeitnehmerin, welche mit Bescheid aus Mai 2020 erteilt wurde. Mit Schreiben vom 26. Mai 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum Ende des Jahres.

Die klagende Arbeitnehmerin wandte sich vor dem Arbeitsgericht Stuttgart gegen die Kündigung. Diese sei mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Es mangele an einer negativen Zukunftsprognose und an einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers. Etwa sei ihre neben Rückenschmerzen vorhandene Konzentrationsschwäche durch den Einsatz in einem Einzelbüro oder der Bereitstellung eines sog. Noise-Cancelling-Headsets zu begegnen gewesen und auch der Stress durch ihren Tinnitus sei dadurch reduzierbar. Dem hielt der die Kündigung verteidigende Arbeitgeber entgegen, dass die langandauernde Erkrankung verbunden mit einer Stellungnahme der behandelnden Ärzte die negative Prognose begründe, dass es sich bei der Erkrankung der Arbeitnehmerin um eine dauerhafte gesundheitliche Einschränkung handele. Die Zuweisung eines dem Gesundheitszustand gerechten Arbeitsplatzes sei nicht möglich. Überdies habe sich die Arbeitnehmerin zu dessen Ausstattung im Verfahren vor dem Integrationsamt nicht eingelassen. Schließlich stehe die fehlende Bereitschaft der Klägerin, die datenschutzrechtliche Einwilligung zu unterzeichnen, einer fehlenden Zustimmung zur Durchführung des bEM gleich. Eine Veranlassung, vor Ausspruch der Kündigung einen weiteren Versuch der Durchführung des bEM zu unternehmen, habe nicht bestanden.

Entscheidung: Nachdem das Arbeitsgericht die Klage der Arbeitnehmerin noch abwies, gab das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg auf die Berufung der Klage statt. Die dagegen seitens des Arbeitgebers eingelegte Revision hatte keinen Erfolg.

Nach Auffassung des BAG (Urteil vom 15. Dezember 2022 – 2 AZR 162/22) habe das LAG zutreffend angenommen, die auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung sei unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 S. 1KSchG gewesen. Die Beklagte habe nicht dargetan, dass keine zumutbare Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. So sei eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung nicht iSv. § 1 Abs. 2 S. 1KSchG durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gebe. Solche Maßnahmen könnten insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus könne sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, die im Rahmen eines bEM als zielführend erkannten Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern. Der Arbeitgeber könne sich zwar im Kündigungsschutzprozess zunächst auf die Behauptung beschränken, für einen Arbeitnehmer bestehe keine andere – dem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. Wenn der Arbeitgeber jedoch nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet sei und er dieser Verpflichtung nicht nachkomme, sei er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Mit Hilfe eines bEM könnten schließlich mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

Danach habe dem nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX wegen der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen zur Durchführung eins bEM verpflichteten Arbeitgeber die Darlegung oblegen, dass auch mit Hilfe eines bEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können. Seiner Verpflichtung sei der Arbeitgeber vorliegend nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Er durfte die Einleitung des bEM-Verfahrens nicht davon abhängig machen, dass die Arbeitnehmerin die Datenschutzerklärung unterzeichne. § 167 Abs. 2 SGB IX sehe die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen eines bEM erhobenen Daten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung vor. Nach § 167 Abs. 2 S. 4 SGB IX sei die betroffene Person lediglich zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.

Dagegen habe der Arbeitgeber die Durchführung des bEM pflichtwidrig von der Unterzeichnung der vorformulierten Datenschutzerklärung abhängig gemacht und keine Bereitschaft gezeigt, den Klärungsprozess ohne das schriftliche Einverständnis in die Verarbeitung der Gesundheitsdaten fortzusetzen. Ein rechtfertigender Grund, von der Einleitung des bEM abzusehen, habe auch unter Beachtung des Normzwecks des § 167 Abs. 2 SGB IX nicht vorgelegen. Es sei dem Arbeitgeber auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar gewesen, zunächst mit dem beabsichtigten bEM zu beginnen. Er hätte mit der Klägerin etwa in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf besprechen und versuchen können, Vorbehalte auszuräumen. Nur wenn die Arbeitnehmerin nicht bereit gewesen wäre, an einem weiteren Klärungsprozess etwa durch Vorlage der – je nach Lage des Einzelfalls – erforderlichen Diagnosen und Arztberichte konstruktiv mitzuwirken, hätte die Arbeitgeberseite zur Verfahrensbeendigung berechtigt sein können, ohne dass sie bei einer nachfolgenden Kündigung verfahrensrechtliche Nachteile zu gewärtigen gehabt hätte. Erst dann wäre der Abbruch des bEM „kündigungsneutral“.

Im konkreten Fall habe das LAG ohne revisionsrechtlich erhebliche Fehler angenommen, dass ein von der Beklagten durchzuführendes bEM jedenfalls dazu hätte beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten der Klägerin bezogen auf den maßgeblichen Prognosezeitpunkt des Kündigungszugangs zumindest zu vermindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Sei es nämlich denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, müsse sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

Fehlerfrei habe das LAG nach Auffassung des BAG auch angenommen, es könne vorliegend nicht festgestellt werden, dass ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. So habe sich etwa bei der Wiedereingliederung gezeigt, dass ein höhenverstellbarer Schreibtisch der Klägerin erlaubt habe, trotz ihrer vorhandenen Rückenbeschwerden jedenfalls eine reduzierte Arbeitszeit von drei Stunden täglich abzuleisten.

Letztlich habe das LAG auch zu Recht angenommen, der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts begründe keine Vermutung dafür, dass ein bEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. In Abgrenzung von einer älteren Entscheidung des erkennenden 2. Senats vom 7. Dezember 2006 (Az. 2 AZR 182/06) finde eine etwaige Vermutungswirkung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts bereits im Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX keine Stütze. Das bEM und das Zustimmungsverfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX verfolgten vielmehr unterschiedliche Ziele und hätten andere Abläufe und Beteiligte. Sei das bEM ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle, so überprüfe das Integrationsamt im Rahmen des Zustimmungsverfahrens einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss. Es treffe dabei eine Ermessensentscheidung, bei welcher das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen sei. Bei dieser Entscheidung unterliege das Integrationsamt Einschränkungen, wonach es in einer Reihe von Fallgestaltungen eine Zustimmung erteilen „soll“ (vgl. § 172 SGB IX). Der stattgebenden Entscheidung des Integrationsamts könne daher keine Bedeutung für die erweiterte Darlegungslast des Arbeitgebers nach unterbliebenem bEM zukommen, da sich die Wirksamkeit einer nachfolgend erklärten Kündigung nach arbeitsrechtlichen Normen aufgrund des von den Parteien im Kündigungsschutzverfahren gehaltenen Sachvortrags beurteile und sodann allein den Gerichten für Arbeitssachen obliege.

Hinweis: Das BAG betont mit der Entscheidung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX zutreffend die Bedeutung des bEM zur Ermittlung milderer Mittel vor Ausspruch einer Beendigungskündigung in Ausprägung des sog. ultima-ratio-Prinzip. Dem Arbeitgeber ist anzuraten, sich vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung eng an den Vorgaben des SGB IX zu orientieren und nicht etwa durch selbst geschaffene, sich aber vom Wortlaut des Gesetzes entfernende Anforderungen – wie vorliegend durch Aufforderung zur Einwilligung in eine Datenschutzerklärung – Hemmnisse zur Durchführung des bEM zu erzeugen. Es gilt aus Arbeitgebersicht danach, an den Abbruch eines bEM bzw. die Nichtaufnahme hohe Anforderungen zu stellen.

Besonders bedeutsam ist zudem die durch das BAG vorgenommene Abgrenzung des Zustimmungsverfahrens gegenüber dem Integrationsamt nach §§ 168 ff. SGB IX einer- und dem bEM nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX andererseits. Die von der eigenen Rechtsprechung des erkennenden Senats vom 7. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 vorgenommene Abgrenzung macht deutlich: Die Zustimmung des Integrationsamts kann wegen der unterschiedlichen Zielsetzung der Verfahren keine Vermutungswirkung begründen, dass ein bEM die Kündigung nicht hätte verhindern können.

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