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von Dr. Josefine Müh
Sachverhalt: Die Parteien stritten über einen Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG. Die beklagte Stadt hatte eine Stelle als Kämmerer ausgeschrieben, auf die sich der Kläger beworben hatte. Der Kläger informierte in seiner Bewerbung über seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Als der Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch erschien und auch telefonisch nicht erreichbar war, erhielt er von der Stadt nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens eine Absage. Der Kläger, der nach seinem Vortrag keine Einladung zum Bewerbungsgespräch erhalten hatte, bestreitet, dass die Beklagte ein Einladungsschreiben an ihn versandt hat. Die beklagte Stadt behauptet, eine vom Bürgermeister unterzeichnete Einladung an die vom Kläger angegebene Postfachadresse versandt zu haben und beruft sich dabei konkret auf die internen Abläufe und die daran beteiligten Personen. Der Kläger verlangte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, da die Beklagte ihn wegen seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen im Bewerbungsverfahren benachteiligt habe, was sich daraus ergebe, dass er trotz Geeignetheit für die Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei.
Der Kläger hatte weder in den Vorinstanzen noch vor dem BAG Erfolg.
Entscheidung: Nach dem Urteil des BAG (Urteil vom 1. Juli 2021 – 8 AZR 297/20) begründet allein der fehlende Zugang einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht die Vermutung einer Benachteiligung des (schwer) behinderten oder gleichgestellten Stellenbewerbers aufgrund seiner Behinderung, wenn der Arbeitgeber alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang zu bewirken.
Das BAG (Urteil vom 1. Juli 2021 – 8 AZR 297/20) gab dem LAG Recht, indem es entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat. Es liegt keine Benachteiligung durch die Beklagte aufgrund der Schwerbehinderung bzw. der Gleichstellung vor. Es ist zwar eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG gegeben, da der Kläger im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle tatsächlich nicht berücksichtigt wurde und dadurch eine weniger günstige Behandlung erfuhr als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Jedoch wurde der Kläger nicht wegen der (Schwer) Behinderung bzw. wegen seiner Gleichstellung benachteiligt. Weder der Umstand, dass der Kläger kein Einladungsschreiben der Beklagten zu einem Vorstellungsgespräch erhielt noch sonstige Umstände begründen nach der Entscheidung des BAG die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass zwischen der Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG und der (Schwer) Behinderung bzw. Gleichstellung des Klägers der erforderliche Kausalzusammen-hang besteht.
Denn die Beklagte hatte alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um einen ordnungsgemäßen und frist-gerechten Zugang des Einladungsschreibens beim Kläger zu bewirken. Für sein gegenteiliges Vorbringen ist der Kläger, den im Hinblick auf die die Kausalitätsvermutung begründenden Indizien i.S.v. § 22 AGG die Darlegungs- und Beweislast traf, beweisfällig geblieben. Die Beklagte kam ihrer sekundären Beweislast nach, indem sie aufführen konnte, dass der Bürgermeister das Einladungsschreiben unterschrieben und seine Sekretärin dieses zur Post gegeben hatte, nachdem die Einladung mit dem Amtsleiter und einem Personalvertretungsmitglied ab-gesprochen worden war.
Das BAG stellte klar, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, das Einladungsschreiben per Einschreiben mit Rückschein zuzuschicken oder es förmlich zuzustellen. § 165 S. 3 SGB IX, der die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen regelt, sehe für diese Einladung weder eine bestimme Form noch eine bestimme Art der Übermittlung vor.
Hinweis: Mit dem Urteil verdeutlicht das BAG, was der öffentliche Arbeitgeber tun muss, um seiner Pflicht nach § 165 S. 3 SGB IX hinreichend nachzukommen. Insoweit schafft die Entscheidung Rechtssicherheit für den Arbeitgeber, der die Einladung zum Vorstellungsgespräch an den schwerbehinderten Stellenbewerber nicht per Ein-schreiben mit Rückschein versenden oder gar förmlich zustellen muss. Andererseits stellt das BAG entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung klar, dass schon der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, demnach auch der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 S. 3 SGB IX geregelte Pflicht, einen schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, in der Regel die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung begründet. Behauptet der Bewerber, keine Einladung erhalten zu haben, liegt es beim Arbeitgeber, darzulegen, dass er diese versandt und alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang des Schreibens zu bewirken. Daraus ergibt sich, wie wichtig die ordnungsgemäße Durchführung und Dokumentation des gesamten Bewerbungsverfahrens ist. Insbesondere sollten öffentliche Arbeitgeber interne Abläufe und Zuständigkeiten für die Versendung von Einladungsschreiben an schwerbehinderte Bewerber sowie die jeweiligen Zeitpunkte und beteiligten Personen notieren.