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von André Schiepel
Sachverhalt: Der Kläger hatte die Beklagte auf Überstundenvergütung in Anspruch genommen.
Für die Beklagte und den Kläger gilt der TV-V. Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm für im Wechselschichttur-nus geleistete Arbeitsstunden ein Überstundenzuschlag zusteht.
Der TV-V lautet hinsichtlich der relevanten Regelungen wie folgend:
§ 8 regelmäßige Arbeitszeit
(1) …
(2) Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen. Bei Arbeitnehmern, die ständige Wechselschichtarbeit zu leisten haben, kann ein längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden.
§ 9 Sonderformen der Arbeit
(1) Wechselschichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei denen der Arbeitnehmer durchschnittlich längstens nach Ablauf eines Monats erneut zur Nachtschicht herangezogen wird. Wechselschichten sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird.
(2) Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht, und die inner-halb einer Zeitspanne von 30 Stunden geleistet wird.
(…)
(7) Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten (§ 8 Abs. 1 Satz 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen.
(8) Abweichend von Abs. 7 sind nur die Arbeitsstunden Überstunden, die
a) im Falle der Festlegung eines Arbeitszeitkorridors nach § 8 Abs. 6 über 45 Stunden oder über die vereinbarte Obergrenze hinausgeht,
b) im Falle der Einführung einer täglichen Rahmenzeit nach § 8 Abs. 7 außerhalb der Rahmenzeiten,
c) im Falle von Wechselschicht– oder Schichtarbeit über die im Schichtplan festgelegte täglichen Arbeitsstunden einschließlich der im Schichtplan vorgesehenen Arbeitsstunden, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden, angeordnet worden sind.
Nach der tarifvertraglichen Regelung erhält man für geleistete Überstunden Zeitzuschläge.
Die Beklagte hatte einen Schichtplan aufgestellt, der jeweils für ein Kalenderjahr im Voraus galt. Hierzu existierte eine Rahmenbetriebsvereinbarung Wechselschichtarbeit. Diese Rahmenbetriebsvereinbarung sah das Aufstellen von Rahmendienstplänen vor und führte ein Jahresausgleichskonto ein.
Der Rahmendienstplan beinhaltete lediglich Arbeitszeitlagen, der konkrete Dienstbeginn und die konkrete Schichtlänge waren nicht ausgewiesen. Zusätzlich enthielten die Rahmendienstpläne sog. „Flexwochen“, in denen der Einsatz der Mitarbeiter frei kalkuliert werden konnte und zwischen 0 und 6 Tagen in der Woche erfolgen konnte.
Konkretisiert wurde die Dienstplanung dann im Rahmen einer Monatsplanung.
Der Kläger arbeitete in Wechselschicht. In der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2016 leistete er 150,32 Stunden mehr als die reguläre wöchentliche Arbeitszeit vorsah (39 Stunden). Die Beklagte zahlte hiervon einen Anteil von 72,7 Stunden aus, nachdem die Betriebsvereinbarung für das Arbeitszeitkonto eine Obergrenze von 80 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto vorsah. Die übrigen Stunden wurden in das Jahresausgleichskonto ein-gestellt und im Rahmen der Dienstplanung bis zum Jahresende durch Arbeitszeitverkürzungen berücksichtigt.
Die Beklagte hat für die ausgezahlten und die im Jahre im Rahmen der Jahresdienstplanung berücksichtigten und ausgeglichenen Mehrarbeitsstunden keine Überstundenzuschläge bezahlt. Diese hat sie nur für Stunden bezahlt, die aufgrund kurzfristiger Änderung des Dienstplanes tagesbezogen entstanden.
Der Kläger ging dagegen davon aus, dass die Beklagte keine Jahresverteilung der Stunden vornehmen könne. Der Schichtplanturnus i. S. d. § 9 Abs. 8 c TV-V sei der jeweilige Monatsschichtplan und eben nicht die Jahresplanung. Daher seien die Arbeitsstunden, die das monatliche Soll überschreiten Überstunden und müssten auch als solche vergütet werden.
Entscheidung: Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 11. April 2019 – 6 AZR 249/18) hat die vom Kläger eingelegte Revision zurückgewiesen. Es stellte zunächst fest, dass § 9 Abs. 8 c TV–L im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zwei Tatbestände für die Entstehung von Überstunden kennt. Einmal die Überschreitung der täglichen Arbeitszeit des Schichtplanes i. S. v. ungeplanten Überstunden und geplante Überstunden, die im Schichtplan selbst vorgesehen sind.
Es stellte weiter fest, dass hier lediglich Überstunden im Sinne der zweiten Alternative streitgegenständlich waren. Diese könnten im Rahmen des Schichtplanturnus ausgeglichen werden. Ein Schichtplanturnus sei auch ein Jahres-schichtplan, wie er hier vorliegt. Es stünde einem Schichtplan nicht entgegen, dass dieser zunächst nur eine grobe Planung vornehme und diese dann monatsbezogen konkretisiere.
Das BAG hält weiter fest, dass Rahmendienstpläne, die den konkreten Dienstbeginn und die konkrete Schichtlän-ge der jeweiligen Beschäftigten nicht ausweisen keine Dienstpläne i. S. d. tariflichen Norm sind.
Aus einer monatlichen Konkretisierung der Dienstpläne in könne man keinen Jahresdienstplan ableiten. Es bestünde kein automatischer Zusammenhang der aufeinanderfolgenden Schichtpläne.
Der vorliegende Jahresplan sei jedoch hinreichend konkret, nachdem – bis auf die Flexwochen – eine taggenaue Einteilung der einzelnen Beschäftigten bezogen auf die verschiedenen Schichten für das ganze Kalenderjahr vor-genommen werde.
Zulässig seien auch die Flexwochen. Der Schichtplan sei noch hinreichend konkret, wenn 25 % der Arbeitszeiten erst in seinem Verlauf festgelegt werden würde. Die Schichtplanung der Beklagten, die für jeden Monat eine Woche Flexschicht vorsah, erfülle diese Voraussetzungen.
Überstunden wären daher nicht entstanden. Diese seien vielmehr im Schichtturnus ausgeglichen worden.
Hinweis: Die Regelung des TV-V entspricht den Arbeitszeitregelungen der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Die Entscheidung hat daher weitreichende Konsequenzen. Das BAG konkretisiert die Anforderungen, die an eine Dienstplanung zu stellen sind, um hinreichend konkret den Jahresausgleichszeitraum ausfüllen zu können. Gleich-zeitig bekräftigt das BAG noch einmal seine Rechtsprechung in Bezug auf das Überstundenverständnis bei Wechselschicht und erlaubt über die Flexibilisierung der Arbeitszeit Gestaltungsoptionen um gerade solche Überstunden zu vermeiden. Zuletzt bestätigte das BAG seine Rechtsprechung in Bezug auf die zeitlichen Flexibilisierungsmöglichkeiten der Arbeitszeit im Umfang von ca. 25 %. Dieser Teil der Entscheidung wird auch auf vertragliche Re-gelungen und Tarifsysteme zu übertragen sein, die nicht nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes geregelt sind.