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Kein Vorrang von Webinaren vor Präsenzseminaren – Betriebsrat darf sich trotz Mehrkosten weiterhin vor Ort schulen lassen

von Cora Alexandra Kosch

Das Angebot an Online-Schulungen wird immer größer. Hat der Betriebsrat die Wahl zwischen einem Präsenzseminar und einem inhaltsgleichen Webinar, so kann der Arbeitgeber nicht von ihm verlangen, sich aufgrund der mit der Teilnahme vor Ort verbundenen Zusatzkosten für das Webinar zu entscheiden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden und damit den Vorinstanzen Recht gegeben.

Kostentragungspflicht des Arbeitgebers umfasst auch notwendige Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
In dem vom BAG entschiedenen Fall hatte die bei der Arbeitgeberin, einer Fluggesellschaft, durch Tarifvertrag errichtete Personalvertretung zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung in Potsdam entsandt. Die Seminargebühr übernahm die Arbeitgeberin, nicht jedoch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten: Schließlich hätten die Mitglieder sich ebenso online zu denselben Inhalten schulen lassen können, so ihre Begründung. Der einschlägige Tarifvertrag verweist auf das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), so dass der Schulungsanspruch der Personalvertretung nach den Regelungen zu beurteilen war, die auch für Betriebsräte gelten. Gemäß § 40 I i. V. m. § 37 VI 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat von den Kosten freizustellen, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Neben den eigentlichen Seminargebühren sind dann auch die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten vom Arbeitgeber zu tragen.

Keine Pflicht zur Wahl der günstigsten Veranstaltung, wenn Betriebsrat Alternative für qualitativ besser halten darf (BAG, Beschluss vom 07. 02. 2024 – 7 ABR 8/23).
Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme hat der Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum. Er muss allerdings die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers berücksichtigen und darauf achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln steht. Kann er sich vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen, darf er die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung dementsprechend nicht für erforderlich halten. Wie das BAG jedoch klarstellt, muss der Betriebsrat sich nicht für die kostengünstigste Veranstaltung entscheiden, wenn er – im Rahmen seines Beurteilungsspielraums – eine andere für qualitativ besser hält.

Gleichwertigkeit der Schulungen? Beurteilungsspielraum erstreckt sich auch auf Auswahl des Schulungsformats.
Darf der Betriebsrat sich also zwischen zwei inhaltsgleichen Schulungen für diejenige mit dem höheren Kostenaufwand entscheiden, weil er deren Format bevorzugt? Das BAG bejaht dies: Der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats beziehe sich neben dem Inhalt der Schulungsveranstaltung auch auf Format und Methoden sowie Art und Weise der Wissens- und Kenntnisvermittlung. Im entschiedenen Fall hatte die Personalvertretung das Präsenzseminar und das Webinar nicht als gleichwertig eingeschätzt: Ihre Mitglieder hätten die Erfahrung gemacht, dass die bei Webinaren virtuell vermittelten Inhalte aufgrund der völlig anderen Schulungssituation nicht so intensiv behandelt würden und sich dies im Verhältnis zu Präsenzseminaren in einem geringeren Lernerfolg niederschlage. Zudem fehle es bei einem Webinar an dem mit einem Präsenzseminar vergleichbaren und außerhalb des eigentlichen Seminarprogramms fortgesetzten Gedanken- und Erfahrungsaustausch über die Tätigkeit in einer betrieblichen Interessenvertretung unter den Seminarteilnehmern. Hierin liegen – so das BAG – zulässige Beurteilungskriterien. Daran änderte auch die im angebotenen Online-Format zur Beteiligung bzw. zum Austausch der – für die Seminarleitung nicht visualisierten – Teilnehmer eingerichtete Chatfunktion nichts.

Abweichende Bewertung des Arbeitgebers zu Qualitätsunterschieden nicht maßgeblich.
Die Arbeitgeberin trat der Einschätzung der Personalvertretung entgegen, indem sie argumentierte, der Lerneffekt sei bei Online-Schulungen sogar höher, weil sich die Teilnehmer hier viel eher trauten, Fragen zu stellen und mit anderen auszutauschen. Diese Einschätzung der Arbeitgeberin war nicht entscheidend. Das BAG stellte insoweit klar: Stehen mehrere Schulungsangebote mit thematisch identischen Inhalten in unter- schiedlichen Schulungskonzepten und/oder -formaten zur Auswahl, obliege es grundsätzlich der betrieblichen Interessenvertretung zu entscheiden, von welcher Schulungsform sie sich im Einzelfall den größeren Schulungserfolg verspricht. Das übersehe die Arbeitgeberin, wenn sie bei der qualitativen Vergleichbarkeit von Präsenz- und Online-Seminaren lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle derjenigen der Personalvertretung setzt. Maßgeblich war, dass nach Auffassung des BAG die Personalvertretung mit den von ihr genannten Gründen für die Bevorzugung eines Präsenzseminars ihren Beurteilungsspiel- raum nicht überschritten hatte.

Keine unangemessene Belastung des Arbeitgebers durch Mehrkosten bei Teilnahme an Präsenzseminar.
Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn der finanzielle Mehraufwand für die Teilnahme am Präsenzseminar derart außer Verhältnis zum Mehrwert gegenüber dem Webinar stünde, dass die mit der Seminarteilnahme verbundene Kostenbelastung unangemessen wäre. In diesem Fall müsste sich der Betriebsrat wiederum für das Webinar entscheiden. Das BAG verneinte dies im Fall der Personalvertretung: Mit 184,77 EUR netto pro Person und pro Tag (1.319,26 EUR insgesamt inkl. Umsatzsteuer) seien diese – auch im Verhältnis zu den Seminargebühren (1.818,32 EUR inkl. Umsatzsteuer) – nicht derart hoch, dass ei- ne unangemessene Belastung der Arbeitgeberin erkennbar wäre.

Fazit: Präsenzschulungen bleiben weiterhin eine Option – Betriebsrat entscheidet weitestgehend selbst.
Sofern der Betriebsrat nachvollziehbar darlegen kann, dass er einen qualitativen Mehrwert im Präsenzseminar sieht – woran offenbar keine hohen Anforderungen gestellt werden –, und die Mehrkosten im Vergleich zur Teilnahme an der inhaltsgleichen Online-Schulung nicht unverhältnismäßig sind, wird der Arbeitgeber ihm die Schulung vor Ort zugestehen und die entsprechenden Mehrkosten tragen müssen. Anders dürfte es sich verhalten, wenn der Betriebsrat beide Optionen als qualitativ gleichwertig beurteilt – in diesem Fall kommt eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht. Jedenfalls steht – wie das BAG klarstellt – der Teilnahme an einem Präsenzseminar nicht von vornherein entgegen, dass bei dieser insbesondere im Hinblick auf Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.

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