Bei variablen Vergütungsbestandteilen, deren Höhe von der Erreichung vereinbarter oder vorgegebener Ziele abhängt, wird im Regelfall anzunehmen sein, dass diese als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung gezahlt werden. Spätestens wenn der Arbeitgeber versuchen würde, die Zahlung dieses von der Zielerreichung abhängigen Vergütungsbestandteils vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag abhängig zu machen (sog. Stichtagsklausel), würde ein Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass dies nicht möglich ist, weil eine Sonderzahlung zumindest auch eine Gegenleistung für im gesamten Kalenderjahr laufend erbrachte Arbeit darstellt (sog. Sonderzahlung mit Mischcharakter; BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12).
Für Vergütungsbestandteile, die zumindest auch Gegenleistungscharakter haben, gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Aufgrund des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung (der Arbeitnehmer kann sie nicht nachholen) liegt bei unterbliebener Arbeitsleistung in der Regel ein Fall der Unmöglichkeit vor (§ 275 BGB). Aus dem Prinzip des gegenseitigen Vertrags (do ut des) sowie aus der gesetzlichen Regelung in § 326 Abs. 1 S. 1 BGB folgt, dass ein Vergütungsanspruch für Fehlzeiten grundsätzlich nicht entsteht. Ausnahmen von diesem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ können sich nur aus sog. lohnerhaltenden Normen (z.B. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) bei Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von jedenfalls sechs Wochen) oder aus einer abweichenden Vereinbarung ergeben.
Auch ohne vertragliche Vereinbarung des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ kann der Arbeitgeber variable Vergütungsbestandteile daher zeitanteilig für Fehlzeiten ohne Entgeltfortzahlungsanspruch kürzen (also z.B. für Elternzeit und Langzeitkrankheit). Oder etwa nicht? Was, wenn der Arbeitnehmer zutreffend entgegnet, dass er „seine Ziele doch trotz der Fehlzeit erreicht“ habe?
Unterschiedliches Meinungsbild
Teile der Fachliteratur gehen pauschal davon aus, dass eine „Kürzung“ der variablen Vergütung nur in Betracht komme, wenn die Arbeitsvertragsparteien dies vereinbart haben. Fehlt eine solche Vereinbarung, spreche viel dafür, dass eine Kürzung selbst dann nicht möglich ist, wenn der Bonus von Zielen abhängt, die in kaum nachweisbarem Zusammenhang mit der individuellen Leistung des Arbeitnehmers stehen, wie das etwa bei unternehmensbezogenen Zielen der Fall ist.
Die Rechtsprechung verfolgt einen differenzierteren Ansatz und meint, dass es sich um eine Frage der Auslegung der betreffenden Vereinbarung handle, ob die Parteien eine Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ vereinbart haben. Sehr schnell und ohne Anhaltspunkte in der jeweiligen Vereinbarung gelangen viele Instanzgerichte sodann jedoch zu einer entsprechenden Ausnahme. Beispielsweise urteilte das LAG Hamm: Hat der Arbeitnehmer das vereinbarte Ziel für eine arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung in einem bestimmten Zeitraum erreicht, so wirken sich Arbeitsunfähigkeitszeiten ohne Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers, die später während dieses Zeitraums auftreten, nicht anspruchsmindernd aus; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien keine gesonderte Regelung über eine Kürzungsmöglichkeit bei später auftretenden Fehlzeiten getroffen haben (amtl. Leitsatz; LAG Hamm v. 30.07.2020 – 18 Sa 1936/19). Damit kehrte das LAG Hamm das Regel-Ausnahme-Verhältnis allerdings um und bürdete dem Arbeitgeber die Darlegung einer „Regelung über eine Kürzungsmöglichkeit“ auf. Weitere aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte Düsseldorf und Hamm deuteten in dieselbe Richtung. Basiert die variable Vergütung auf einer individualarbeitsvertraglichen Grundlage, wird ein Arbeitsgericht verbleibende Zweifel diesbezüglich stets dem Arbeitgeber zur Last legen (§ 305c Abs. 2 BGB).
Vorsichtige Entwarnung durch die Entscheidungen des LAG Düsseldorf v. 21.05.2024 und v. 23.04.2024
In den genannten Entscheidungen des LAG Düsseldorf konnte diesem Trend vorerst entgegengewirkt werden. Das LAG Düsseldorf urteilte zur Auslegung einer Betriebsvereinbarung über eine Zielvergütung, dass der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ auch für variable Vergütungsbestandteile gelte. Dies folge aus dem Gesetz und müsse nicht eigens vereinbart werden. Eine Abweichung von diesem Grundsatz sei ohne ausdrückliche Regelung jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn die Vergütung keinen unmittelbaren, sondern nur einen mittelbaren Leistungsbezug hat. Mit einem mittelbaren Leistungsbezug meinte das LAG Düsseldorf eine Verzielung des Unternehmenserfolgs oder des Abteilungs-/Teamerfolgs und andere Fälle, in denen der Arbeitnehmer keinen unmittelbaren, messbaren Kausalbeitrag zur Zielerfüllung leistet.
Zu bedenken ist dementsprechend, dass die Ausführungen des LAG Düsseldorf nicht für eine variable Vergütung mit unmittelbarem Leistungsbezug gelten (z.B. Umsatzzahlen eines Verkäufers). Im konkreten Fall vom 23.04.2024 hatte das LAG Düsseldorf zudem zu Gunsten des Arbeitgebers gewertet, dass die Arbeitsvertragsparteien bei der Vereinbarung der konkreten Ziele bereits Kenntnis von der geplanten Elternzeit des Klägers hatten, diese also gewissermaßen „eingepreist“ war. Hierin sah es auch den Unterschied zu dem vom LAG Hamm entschiedenen Fall. Schließlich warf das Gericht auch die Frage auf, ob und inwieweit die Ziele bei unvorhergesehenen Abwesenheiten entsprechend angepasst werden müssen. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Das LAG Düsseldorf sah die Thematik noch nicht als durch das Bundesarbeitsgericht geklärt an.
Empfehlung zur Gestaltung
Sowohl bei individualarbeitsvertraglichen Vereinbarungen als auch bei betrieblichen Vereinbarungen über variable Vergütungsbestandteile sollte nicht auf die Auslegung im konkreten Einzelfall vertraut werden. Der Umgang mit Fehlzeiten, insbesondere mit Fehlzeiten ohne Entgeltfortzahlungsanspruch, sollte stets ausdrücklich geregelt werden. Darüber hinaus ist es auch zu empfehlen, eine Regelung zur Auswirkung von Fehlzeiten auf bereits festgelegte bzw. vereinbarte Ziele in Erwägung zu ziehen. Andernfalls leitet der Arbeitnehmer einen solchen Anpassungsanspruch womöglich aus den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB her.