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21.06.2024

Lohnsteuerpauschalierung bei „Betriebsveranstaltungen“

Christmas2016
Voraussetzung des „Offenstehens“ für alle Angehörigen eines Betriebs oder Betriebsteils seit 2015 entfallen

 

Christmas2016

Paukenschlag aus München: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit einem erst seit Ende Mai 2024 mit Entscheidungsgründen vorliegenden Urteil vom 27.03.2024 (VI R 5/22) entschieden, dass infolge der Rechtsänderung in § 19 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2015 eine „Betriebsveranstaltung“ im Sinne der Pauschalierungsvorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG auch dann vorliegen kann, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder Betriebsteils offensteht. Auch reine Funktionsgruppen- oder Führungskräfteveranstaltungen mit gesellschaftlichem Charakter fallen nach Ansicht des BFH seit 2015 unter den Begriff „Betriebsveranstaltung“ in § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG und können somit (bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen) pauschaliert lohnversteuert und infolge der Anknüpfung in § 1 Abs. 2 SVEV beitragsfrei zugewendet werden. Die Voraussetzung des „Offenstehens“ bleibt gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG jedoch relevant für den Freibetrag in Höhe von EUR 110,00.

Noch sind die Lohnsteuerhinweise zur lohn- und umsatzsteuerlichen Behandlung von Betriebsveranstaltungen (LStH 2024) mit BMF-Schreiben vom 14.10.2015 (BStBl. I S. 832) nicht um eine entsprechende Klarstellung ergänzt worden, dennoch können sich Arbeitgeber bereits jetzt auf dieses Grundsatzurteil berufen und sollten insbesondere etwaigen Nachforderungen aus lohnsteuerlichen oder sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen rechtzeitig entgegentreten, die sich auf eine Nichtanerkennung von Betriebsveranstaltungen ab 2015 wegen eines nicht allen Betriebs- oder Abteilungsangehörigen offenstehenden Teilnehmerkreises stützen. Um sich bei der Erfüllung der laufenden Lohnsteuer- und Beitragspflichten auf der sicheren Seite zu bewegen, sollte vor der zu erwartenden Anpassung der Verlautbarungen von Finanzverwaltung und SV-Spitzenverbänden eine Abstimmung mit den zuständigen Behörden erfolgen, denn die Finanzverwaltung muss sich selbst einem solchen Grundsatzurteil nicht zwingend anschließen. Im Falle eines sog. Nichtanwendungserlasses bleibt zwar die gerichtliche Durchsetzung einer steuerlichen Behandlung, wie vom BFH gefordert, möglich, die Risiken der Lohnsteuerhaftung und von verschuldeten Fehlern bei der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsbemessung trägt jedoch der Arbeitgeber.

 

Weihnachtsfeiern für Führungskräfte

 

Über was der BFH zu befinden hatte, betraf eine seit der Rechtsänderung von § 19 EStG in der Literatur streitige und für die Praxis hoch relevante Frage: Kann die begünstigende Lohnsteuerpauschalierung zum Pauschsteuersatz von 25% nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG angewendet werden auf Veranstaltungen mit gesellschaftlichem Charakter wie z.B. Weihnachtsfeiern, Essenseinladungen, Jubiläumsfeiern oder Incentive-Ausflüge, die sich nur an einen ausgewählten Mitarbeiterkreis richten (z.B. bestimmte Hierarchieebenen oder Funktionsgruppen wie z.B. Vertriebsmitarbeiter ohne die zugehörigen Assistenzkräfte)? Wohlgemerkt: Eine Lohnsteuer fällt von Vornherein nicht für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen an, die (wie z.B. Geschäftsessen mit Kunden) im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers liegen. Die Übernahme von Kosten für sonstige Veranstaltungen durch den Arbeitgeber stellt jedoch, auch wenn sie Zwecken wie dem betrieblichen Zusammenhalt oder der reibungslosen Zusammenarbeit dienen, eine grundsätzlich lohnsteuerpflichtige Zuwendung an die Teilnehmenden dar und damit potentiell beitragspflichtiges Entgelt. Dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt sind nur solche Einnahmen nicht zuzurechnen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, soweit sie in der Grenze des § 19 Abs. 1a S. 3 und 4 EStG lohnsteuerfrei sind (EUR 110,00 je Betriebsveranstaltung und Teilnehmer für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen pro Jahr) oder gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG pauschal versteuert wurden.

Im entschiedenen Fall ging es um eine Weihnachtsfeier nur der Vorstandsmitglieder in den eigenen Räumlichkeiten des Unternehmens mit Kosten von EUR 8.034,00 sowie eine mit EUR 168.439,00 zu Buche schlagende Weihnachtsfeier für Mitarbeiter des sog. oberen Führungskreises eines Standorts (die also eine bestimmte Karrierestufe erreicht hatten, aber keinen eigenständigen Betriebsteil bildeten) – beide durchgeführt im Jahr 2015. Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertraten das Prüfteam und ebenso das beklagte Finanzamt die Auffassung, das Unternehmen habe die Lohnsteuerpauschalierung mit dem Pauschsteuersatz von 25% zu Unrecht angewandt und daher eine ordnungsgemäße Lohnversteuerung der den Vorstandsmitgliedern und dem Führungskreis mit den jeweiligen Weihnachtsfeiern zugewandten Vorteile unterlassen.

 

Neue Legaldefinition der „Betriebsveranstaltung“ i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 1 EStG seit 2015

 

Hintergrund war die Ansicht von Finanzverwaltung und Finanzgericht, dass der Begriff der Betriebsveranstaltung ungeachtet der Einfügung einer Legaldefinition in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 1 EStG mit Wirkung vom 01.01.2015 weiterhin voraussetze, dass die Teilnahme an der Veranstaltung allen Arbeitnehmern eines Betriebs oder Betriebsteils offenstehen müsse. Das ist nach Ansicht des BFH unrichtig: Die Pauschalversteuerung nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG von Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltungen knüpfe an das Vorliegen von Arbeitslohn an, dafür gelte seit dem 01.01.2015 § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014 (BGBl I 2014, 2417).

Danach sind Betriebsveranstaltungen nach der neu eingefügten Legaldefinition in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 1 EStG „Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter“. Die bis zur gesetzlichen Neuregelung ständige Rechtsprechung, dass für eine Behandlung als „Betriebsveranstaltung“ zusätzlich vorauszusetzen sei, dass die Teilnahme grundsätzlich allen Betriebsangehörigen oder zumindest allen Angehörigen eines Betriebsteils „offenstand“ (vgl. BFH v. 16.05.2013 – VI R 94/10, Rz 18; BFH v. 16.05.2013 – VI R 7/11, Rz 19, vgl. die für Veranlagungszeiträume bis 2014 geltenden LStR 19.5 Abs. 2 Satz 1), sei vom Gesetzgeber nicht übernommen worden und überholt; sie finde sich (nunmehr) allein in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 EStG und habe damit nur noch Bedeutung in Verbindung mit der Gewährung des Freibetrags (Lohnsteuerfreiheit bis EUR 100,00 pro Person und Jahr). Gerade weil das Offenstehen für alle Angehörigen eines Betriebs oder Betriebsteils nunmehr ausdrücklich und ausschließlich als Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung des Freibetrags vorgesehen sei, könne es aus gesetzessystematischen Gründen nicht länger als (ungeschriebenes) einschränkendes Kriterium des Betriebsveranstaltungsbegriffs im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a Satz 1 EStG herangezogen werden.

Das Tatbestandsmerkmal der Betriebsveranstaltung in § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG sei entsprechend der neuen Legaldefinition auszulegen. Die Zuwendungen für Weihnachtsfeiern an die Mitglieder des Vorstands und Führungskräfte durften daher mit dem Pauschsteuersatz von nur 25% lohnversteuert werden, obwohl sie nicht allen Angehörigen des Betriebs oder eines abgrenzbaren Betriebsteils offenstanden.

Richtige Behandlung von Betriebsveranstaltungen, die nicht „allen offenstehen“

 

Wenn und soweit sich die Finanzverwaltung dem Urteil des BFH anschließt, können künftig Sachzuwendungen in Form von Veranstaltungen mit gesellschaftlichem Charakter, an denen ausschließlich Beschäftigte des Betriebs (auch Leiharbeitnehmer oder Arbeitnehmer anderer Konzernunternehmen) und deren Begleitpersonen teilnehmen dürfen, auch dann der Lohnsteuerpauschalierung zu unterwerfen und folglich als gemäß § 1 Abs. 2 SVEV beitragsfrei zu behandeln sein, wenn die Einladung nur bestimmten Gruppen gilt. Auf das Tatbestandsmerkmal des „Offenstehens“ wäre ab einschließlich 2015 dafür dann nicht mehr abzustellen. Für die Lohnsteuerfreiheit von Zuwendungen im Rahmen von Betriebsveranstaltungen bis zu einem Betrag von EUR 110,00 je Feier gilt dies – wie schon der Wortlaut von § 19 Abs. 1a S. 3 EStG zeigt – nicht, ohne das Tatbestandsmerkmal des „Offenstehens“ für alle Angehörigen eines Betriebs oder Betriebsteils liegt daher (pauschaliert) steuerpflichtiger Arbeitslohn „vom ersten Euro an“ vor.

Für die sozialversicherungsrechtliche Verbeitragung ist allerdings ergänzend auf ein ebenfalls noch sehr junges und bislang nicht einmal im Volltext veröffentlichtes Urteil des Bundessozialgerichts hinzuweisen (BSG v. 23.04.2024 – B 12 BA 3/22 R). Danach tritt die Beitragsfreiheit in Fällen nachholender Pauschalversteuerung für Aufwendungen im Zusammenhang mit Betriebsveranstaltungen nur ein, wenn diese spätestens bis zu demjenigen Zeitpunkt erfolgt war, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden muss, also Ende Februar des Folgejahres. Obwohl steuerrechtlich die Option auf eine Pauschalversteuerung nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG auch später noch zulässig ist, bedingt also eine Nachholung nach Februar des Folgejahres (insbesondere im Rahmen einer lohnsteuerlichen Betriebsprüfung) keine Beitragsprivilegierung nach § 1 Abs. 2 SVEV mehr!

Gerne stehen unsere infomaat-Autoren Ihnen bei Fragen zur Verfügung:

Dr. Isabel Nazari Golpayegani

Fachanwältin für Arbeitsrecht und für Sozialrecht
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