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Massenentlassungsanzeige – Keine Unwirksamkeit wegen fehlender Soll-Angaben

von Katharina König

Sachverhalt: Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte beschäftigte in ihrem Betrieb regelmäßig mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer. Im Zeitraum vom 18.06.2019 bis zum 18.07.2019 kündigte sie insgesamt 17 Arbeitnehmern, darunter auch der Klägerin. Diese hat mir ihrer Klage u.a. geltend gemacht, dass ihre am 18.06.2019 zugegangene Kündigung nach § 134 BGB nichtig sei. Grund dafür sei, dass die Beklagte – als solches unstreitig – nicht zuvor gegenüber der Agentur für Arbeit die Angaben gem. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG gemacht hat. Gemeint sind damit Angaben bzgl. des Alters, Geschlechts, des Berufs und der Staatsangehörigkeit der gekündigten Arbeitnehmer.

Auf den Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil entsprach das Arbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils. Das Landesarbeitsgericht wies die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück. Mit der Revision verfolgte die Beklagte weiter die Abweisung der Kündigungsschutzklage. Das BAG hat das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zurückverwiesen.

Entscheidung: Es entschied (BAG, Urteil vom 19. Mai 2022 – 2 AZR 467/21), dass sich den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen schon nicht entnehmen lasse, dass die Klägerin im Zuge einer anzeigepflichtigen Massenentlassung gem. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG entlassen worden sei. Die Vorinstanz habe nur festgestellt, dass die Beklagte „in der Zeit vom 18.06.2019 bis zum 18.07.2019“ insgesamt 17 Arbeitsverhältnisse „gekündigt“ habe. Daran sei nicht eindeutig zu erkennen, wann die weiteren Kündigungen den betreffenden Arbeitnehmern zugegangen seien. Möglich erscheine es auch, dass das Landesarbeitsgericht den 18.07.2019 in seine Betrachtung eingeschlossen habe. Dann läge aber ein Zeitraum von 31 Kalendertagen vor. Nach Auffassung des Senats handele es sich bei der „30-Tage-Frist“ des § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG jedoch nicht um die Berechnung einer Frist i. S. d. §§ 186 ff. BGB. Andernfalls könne der im Gesetz eindeutig bestimmte 30-Tage-Zeitraum auf einen deutlich längeren Zeitraum ausgedehnt werden.

Weiter wäre – selbst wenn die Klägerin im Wege einer anzeigepflichtigen Massenentlassung entlassen worden sei – die streitgegenständliche Kündigung auch nicht gem. § 134 BGB nichtig, weil die Beklagte vor ihrem Zugang nicht gegenüber der Agentur für Arbeit die Angaben gem. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG gemacht habe. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG sei nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige ausgestaltet. Dies sei dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzessystematik und dem Willen des nationalen Gesetzgebers zu entnehmen:

Während der Gesetzgeber in § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG eine Mussregelung getroffen habe, handele es sich bei § 17 Abs. 3 S. 5 nur um eine Sollvorschrift. Diese Trennung in Mussbestimmung und Sollvorschrift mache deutlich, dass zwar § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG, nicht aber § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG eine Regelung zum zwingenden Inhalt der Massenentlassungsanzeige treffe. Im Hinblick auf die Gesetzessystematik sei zu beachten, dass § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG vom Arbeitgeber zwar die Angabe der Zahl und der Berufsgruppen sowie der vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer verlange, nicht hingegen die Individualisierung der Betroffenen. Auf Grund dessen können die „personenbezogenen“ Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG keine „Muss-Angaben“ sein.  Überdies sei dem Willen des Gesetzgebers nichts anderes zu entnehmen. Nach der Begründung des Regierungsentwurfes vom 19.10.1977 sei der Inhalt der Anzeige in Bezug auf die Angaben in S. 5 nur in einer Sollbestimmung festgelegt. Auch in Bezug auf europarechtliche Vorgaben sei § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nicht als eine die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige bestimmende Mussvorschrift zu verstehen. Zum einen sei eine richtlinienkonforme Auslegung schon deshalb nicht möglich, weil es sich nach Wortlaut, Systematik, Zweck sowie Gesetzeshistorie eindeutig um eine Sollvorschrift handele und daher kein Raum für eine Auslegung bleibe. Zum anderen sei durch die Rechtsprechung des EuGHs bereits geklärt, dass die dort vorgesehenen Angaben in der Massenentlassungsanzeige nicht enthalten sein müssen.

Hinweis: Das BAG positioniert sich mit dieser Entscheidung deutlich gegen den „Trend“ der Instanzgerichte und für den Gesetzgeberwillen. Nun ist klar, dass der Arbeitgeber die Agentur für Arbeit nicht über die „Muss-Inhalte“ hinaus, auch noch über die „Soll-Inhalte“ informieren muss. Nichtdestotrotz bleibt eine gründliche Vorbereitung einer Massenentlassungsanzeige erforderlich. Denn: Eine unwirksame Massenentlassungsanzeige macht die Kündigungen unwirksam.

 

 

 

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