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Massenentlassungsanzeigen

Führen Fehler künftig nicht mehr zur Unwirksamkeit von Kündigungen?

 

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG führten Fehler von Arbeitgebern bei der Anzeige bevorstehender Massenentlassungen an die Agentur für Arbeit nach § 17 KSchG in aller Regel zur Unwirksamkeit der anschließend ausgesprochenen Kündigungen. Das Gesetz selbst sah diese Folge zwar nicht vor; das BAG stützte sie seit dem Jahr 2012 jedoch auf das Effizienzgebot und setzte sein Verständnis desselben im Sinne eines umfassenden Arbeitnehmerschutzes hart und konsequent durch. In der Praxis führte dies zu einem erheblichen Risiko für Arbeitgeber, durch – oft nur formale – Fehler im Anzeigeverfahren die Wirksamkeit einer Vielzahl von Kündigungen zu gefährden.

In mehreren Verfahren bezweifelte das BAG jüngst selbst, ob das von ihm entwickelte Sanktionssystem nicht vielleicht doch zu weitgehend und damit unverhältnismäßig sei. Es setzte die Verfahren deshalb aus (zuletzt: BAG v. 11.05.2023 – 6 AZR 157/22 (A)), um zur Klärung dieser Frage eine Entscheidung des EuGH dazu abzuwarten, welchem Zweck die in der europäischen Massenentlassungs-Richtlinie geregelten Pflichten des Arbeitgebers dienen.

 

EuGH: Zuleitungspflichten begründen keinen Individualschutz für einzelne Arbeitnehmer

 

In seiner Entscheidung vom 13.07.2023 (Az.: C-134/22; Vorlageverfahren des BAG 6 AZR 155/21) nahm der EuGH konkret nur zu der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der europäischen Massenentlassungs-Richtlinie geregelten Pflicht des Arbeitgebers Stellung, der jeweiligen nationalen Behörde eine Abschrift des an die Arbeitnehmervertretung übermittelten Informations- und Konsultationsschreibens zuzuleiten. Zu dieser – zugebenermaßen recht speziellen – Einzelfrage stellte der EuGH fest, dass diese Vorschrift ihrem Zweck nach keinen Individualschutz für einzelne Arbeitnehmer begründe, sondern allein der Information der jeweils zuständigen Behörden diene. Im Rahmen der Entscheidungsbegründung hielt der EuGH dabei ausdrücklich fest, dass das Hauptziel auch der Massenentlassungs-Richtlinie insgesamt nur sei, vor Massenentlassungen eine Konsultation der Arbeitnehmervertreter und eine Information der zuständigen Behörden zu erreichen und Letzteren die Vorbereitung auf die sich ggfs. ergebenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

 

Steht eine Änderung der BAG-Rechtsprechung bevor?

 

Abzuwarten bleibt, welche Schlüsse das BAG hieraus für die Unwirksamkeit von Kündigungen bei unrichtigen Massenentlassungsanzeigen nach der Wiederaufnahme der ausgesetzten Verfahren ziehen wird. Unter Berücksichtigung seiner Begründung für die Entscheidung, die Verfahren zunächst auszusetzen, und der klaren Negierung jeglichen Individualschutzes seitens des EuGH läge es nahe, dass künftig jedenfalls formale Fehler im Anzeigeverfahren nicht mehr automatisch zur Unwirksamkeit von im Rahmen der angezeigten Massenentlassung ausgesprochenen Kündigungen führen.

Etwas in diese Richtung ging bereits die BAG-Entscheidung vom 19.05.2022 (2 AZR 467/21), die durch die Festlegung, dass zumindest das Fehlen von bloßen Soll-Angaben in der Massenentlassungsanzeige nicht zur Unwirksamkeit von Kündigungen führt, eine Erleichterung der von den Arbeitgebern zu tragenden Unsicherheitsbürde bei Massenentlassungen mit sich brachte.

Die Aussetzungsentscheidung hatte das BAG allerdings ausdrücklich unter dem Eindruck der Schlussanträge des Generalanwalts vor dem EuGH getroffen, in denen konkret das Sanktionssystem des BAG problematisiert worden war. Diese Hinweise nahm der EuGH nicht in seine Entscheidung auf. Damit obliegt die Festlegung von Sanktionen für Fehler im Massenentlassungsverfahren weiterhin allein den EU-Mitgliedstaaten. Da diese nach Ansicht des EuGH durchaus abschreckende Wirkung haben sollen, könnte das BAG auch an seiner bisherigen Politik zur großflächigen Unwirksamkeit von Kündigungen festhalten. Klarheit gibt es, sobald die Entscheidungen des BAG in den ausgesetzten Verfahren vorliegen. Aktuell besteht jedoch zumindest die Hoffnung, dass der Praxis künftig eine bessere Handhabung der Anzeigepflichten gewährt wird, die sich an dem tatsächlichen Zweck der Massenentlassungs-Richtlinie orientiert.

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Dr. Cornelia Marquardt

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