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Teilweise Umstellung laufender Leistungen auf Kapitalleistungen

BAG v. 20.06.2023 – 3 AZR 231/22

 

Bei der Veränderung betrieblicher Altersversorgungszusagen ist stets zwischen dem rechtstechnisch geeigneten Mittel (Individualabrede, Betriebsvereinbarung, Sprecherausschussvereinbarung etc.) und der rechtlichen Zulässigkeit der Veränderung zu differenzieren. Für Eingriffe in die Höhe von Versorgungsanwartschaften hat das BAG über mehrere Jahrzehnte ein dreistufiges Prüfungsschema, auch 3-Stufen-Theorie genannt, entwickelt.

Lässt die Veränderung der Versorgungsordnung die Höhe der zugesagten Versorgungsleistungen unangetastet, ist zu prüfen, ob die Änderung den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes entspricht. In dem vom BAG am 20.06.2023 entschiedenen Fall war noch unklar, ob die Umstellung der betrieblichen Altersversorgung zu einem Eingriff in die Höhe der Versorgungsanwartschaft geführt hat. Klar war jedoch bereits, dass das einstmalige Rentenversprechen zumindest teilweise auf eine Kapitalleistung umgestellt wurde.

 

Ersetzung Rentenanwartschaft durch Kapitalleistung bedarf eigenständiger Rechtfertigung

 

Das BAG hatte bereits im Jahr 2012 entschieden, dass die Ersetzung einer Rentenanwartschaft durch eine Anwartschaft auf eine Kapitalleistung in einer – eine andere Versorgungsregelung ablösenden – Versorgungsregelung einer eigenständigen Rechtfertigung bedarf. Dies liegt daran, dass laufende Rentenleistungen für den Arbeitnehmer eine besondere Wertigkeit haben, obschon Rentenzahlungen und (einmalige) Kapitalleistungen nach dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) im Grundsatz gleichwertige Formen der betrieblichen Altersversorgung sind. Gleichwohl macht es aus Sicht des BAG einen Unterschied, ob der Arbeitgeber von vornherein eine Altersversorgung in Form einer laufenden Rentenzahlung oder einer einmaligen Kapitalleistung zusagt, weil er im Falle einer Rentenzusage damit zum Ausdruck bringt, auch das Langlebigkeitsrisiko tragen zu wollen. Die weiteren Vorteile von Rentenleistungen sind die Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG, eine geringere Steuerlast auf Seiten des Versorgungsempfängers und der Pfändungsschutz gem. § 850c ZPO.

 

Interessenabwägung bei (teilweiser) Umstellung auf eine Kapitalleistung

 

Nach Auffassung des 3. Senats sind die wechselseitigen Interessen des Arbeitnehmers am Erhalt einer Rentenleistung und des Arbeitgebers an der Umstellung auf ein Kapitalleistungsversprechen gegeneinander abzuwägen. Nicht zu beanstanden ist der Wechsel allerdings nur dann, wenn das die Umstellung begründende Interesse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt der Rentenleistung erheblich überwiegt. Es reicht somit nicht aus, wenn die Entscheidung sich als willkürfrei entpuppt. Aufgrund der dargestellten Nachteile einer Umstellung fordert das BAG vielmehr ein erhebliches Überwiegen der Arbeitgeberinteressen. Ob dies auch dann der Fall ist, wenn sich der Arbeitgeber – wie im vom BAG entschiedenen Fall – darauf beschränkt, nur hinsichtlich der künftigen, dienstzeitabhängigen Zuwächse eine Kapitalleistung vorzusehen, war Gegenstand der Entscheidung.

Der dortige Kläger hatte weiterhin einen Anspruch auf Rentenzahlung in einer durchaus signifikanten Höhe. Die Versorgungsordnung war jedoch stichtagsbezogen dahingehend verändert worden, dass für künftige Zuwächse nur noch eine Kapitalleistung versprochen wurde. Der Besitzstand blieb unangetastet. Mithin war die Veränderung weniger schwerwiegend als bei einer vollständigen Umstellung von einer Renten- auf eine Kapitalleistungsanwartschaft.

Dies hat auch das BAG betont und dem LAG dementsprechende Vorgaben für die erneute Verhandlung und Entscheidung der Angelegenheit nach Zurückverweisung gemacht. Es sei in den Blick zu nehmen, dass die wechselseitigen Interessen unterschiedlich zu bewerten sind, je nachdem, in welchem Umfang dem Versorgungsempfänger die bisher zugesagten laufenden Leistungen auch künftig als laufende Leistungen zustehen. Werde die Versorgungsleistung auch künftig in einem nicht unerheblichen Umfang weiter als laufende Rentenleistung gewährt und nur ein kleinerer Teil als Kapitalleistung gezahlt, und bleibe dem Versorgungsempfänger damit nach der Umstellung noch ein erheblicher Anteil als Rentenleistungen, relativiere dies die Nachteile der Kapitalzahlung.

Weiter sei zu beachten, dass mit Blick auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eine unterschiedliche Bewertung und Gewichtung der Interessen geboten sei, wenn die Umstellung der laufenden Leistungen auf Kapitalleistungen nur den Teil der Versorgungsleistungen betreffe, der sich aus den künftigen dienstzeitabhängigen Zuwächsen der zugesagten Versorgungsleistungen ergebe. In diesem Fall werde dem Versorgungsberechtigten bereits im Zeitpunkt der Umstellung deutlich, dass ihm Teile seiner künftig erwirtschafteten Versorgungsleistungen als Einmalkapital zufließen würden. Darauf könne und müsse er sich ggf. einstellen.

 

Noch einige Fragen offen

 

Aus Arbeitgebersicht ist das Urteil durchaus zu begrüßen. Obschon natürlich noch die LAG-Entscheidung und eine etwaige weitere BAG-Entscheidung in dieser Sache abzuwarten sind, zeichnet sich durch die Vorgaben des BAG ab, dass es künftig leichter sein könnte, zumindest für künftige Zuwächse auf ein Kapitalleistungsversprechen umzustellen. Der Arbeitgeber könnte sich somit zumindest für diesen Teil der Versorgungsleistung dem Langlebigkeitsrisiko entledigen und dementsprechende bilanzielle Entlastungen erwirken.

Allerdings wird vorrangig zu prüfen sein, ob die Umstellung der Versorgung nicht zu einem Eingriff in die Versorgungshöhe geführt hat. Hierbei ist eine Umrechnung der Kapitalleistung in eine monatliche Rente nach versicherungsmathematischen Grundsätzen, und zwar unter Berücksichtigung der im Versorgungsfall aktuellen Richtwerte vorzunehmen. Erneut nicht ausgeführt hat das BAG zu der sehr praxisrelevanten Frage, welcher Zins bei der Umrechnung in Ansatz zu bringen ist. Ferner offen ist, ob Leistungen aus anderen Versorgungswegen bei der Vergleichsbetrachtung zu berücksichtigen sind.

Dem Urteil kann hingegen deutlich entnommen werden, dass es nur dann auf die eigenständige Rechtfertigung der Umstellung der Leistungsform ankommt, wenn die dem jeweiligen Arbeitnehmer aus der Neuregelung zustehenden Leistungen mindestens gleich hoch sind. Für die in diesem Fall vorzunehmende Interessenabwägung deutet das BAG an, dass es einerseits auf das Verhältnis von Renten- und Kapitalleistung und andererseits auch auf die absoluten Beträge ankommt, ohne dies weiter zu präzisieren.

Allerdings bringt das BAG zum Ausdruck, dass es zu Gunsten eines Arbeitgebers zu gewichten ist, wenn die dem Arbeitnehmer nach der Neuregelung geschuldeten Leistungen höher ausfallen als nach der Altregelung. Dies wird man möglichweise als Fingerzeig verstehen können, dass eine Rechtfertigung desto eher anzunehmen ist, je mehr die wirtschaftlichen Nachteile (Übertragung Langlebigkeitsrisiko, keine Anpassungsprüfungspflicht, kein Pfändungsschutz) durch eine großzügig kalkulierte Kapitalzahlung ausgeglichen werden. Angesichts dessen wäre es ggf. auch sinnvoll, bei der Kalkulation zu berücksichtigen, welche Arbeitnehmergruppen in besonderem Maße von einer Umstellung betroffen sind (z.B. dienstjüngere), um dadurch einen möglichst zielgenauen Nachteilsausgleich durchzuführen.

In Anbetracht der vom BAG herausgearbeiteten Prüfungsreihenfolge (1. Liegt ein Eingriff in die Versorgungshöhe vor? 2. Gibt es eine eigenständige Rechtfertigung für die teilweise Umstellung auf eine Kapitalzahlung?) ist allerdings zu konstatieren, dass es künftig noch schwieriger werden dürfte, im Zeitpunkt der Neuordnung zu beurteilen, ob die Veränderung rechtskonform ist. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass das BAG wohl eine Einzelfallbetrachtung bezogen auf den jeweiligen Zeitpunkt des Versorgungsfalls anstellt. Naturgemäß unterliegen die hierbei zu berücksichtigenden Faktoren (künftige Performance der Kapitalanlage, Entwicklung der versicherungsmathematischen Richtwerte, Zinsschwankungen etc.) Veränderungen, die für die rechtliche Beurteilung indes entscheidend sind.

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Dr. Nils Börner

Fachanwalt für Arbeitsrecht
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