Möglicher Handlungsbedarf zur Anpassung von Versorgungswerken
Mit dem Inkrafttreten des 8. SGB IV-Änderungsgesetzes zum 01.01.2023 ist die Hinzuverdienstgrenze entfallen. § 34 Abs. 2 SGB VI, wonach der Versicherte eine vorgezogene Rente wegen Alters als Vollrente aus der Deutschen Rentenversicherung nur dann erhielt, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300,00 € nicht überschritten wurde, existiert nicht mehr. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 42 SGB VI zusätzlich den Bezug einer Teilrente in Höhe von mindestens 10 % der Vollrente ausdrücklich erlaubt.
Ob und wie diese Änderungen in der Deutschen Rentenversicherung Konsequenzen für betriebliche Versorgungswerke haben können, lässt sich individuell sehr unterschiedlich beantworten. Der nachfolgende Beitrag greift einige Themen auf und diskutiert mögliche Lösungen.
Vorzeitige Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersrente – Auswirkungen
Nach § 6 BetrAVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, einem Mitarbeiter, der die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch nimmt, auch Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren, wenn die sonstigen Leistungsvoraussetzungen und die Wartezeit erfüllt sind. Wenn die Altersrente auf einen Teilbetrag beschränkt wird, können die Leistungen der bAV eingestellt werden. Nach aktuellem Gesetzesstand ist daher der Mitarbeiter nicht berechtigt, die Betriebsrente abzurufen, wenn er eine Teilrente aus der Deutschen Rentenversicherung bezieht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erwägt allerdings, § 6 BetrAVG zu ändern und den Bezug der Vollrente nicht mehr als Voraussetzung für den Anspruch auf Betriebsrente zu formulieren. Daher könnte eine bAV-Leistung zukünftig auch dann gefordert werden, wenn nur eine Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird. Die Praxis sieht dies kritisch. Die Leistung einer Teilrente ist in den wenigsten Versorgungsregelungen vorgesehen. Für die Ermittlung und Verwaltung einer solchen Teilrente würde ein erheblicher Zusatzaufwand anfallen.
Ausscheiden aus dem Unternehmen als Voraussetzung für den Leistungsfall
Viele Versorgungsordnungen sehen vor, dass eine Betriebsrente nur dann bezogen werden kann, wenn der Mitarbeiter zuvor aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Als Ausscheiden wird hierbei in der Regel das rechtliche Ausscheiden nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gefordert, in Einzelfällen mag bereits das tatsächliche Ausscheiden aus dem Unternehmen ausreichen. Wenn daher ein Mitarbeiter die gesetzliche Altersrente vorgezogen in Anspruch nimmt, jedoch nicht aus dem Unternehmen ausscheidet, kann er die Betriebsrente nicht verlangen. Diese Voraussetzung wird durch die Änderungen zur Hinzuverdienstgrenze nicht eingeschränkt. Insbesondere liegt hierin keine Diskriminierung wegen des Alters, da das Ausscheidenserfordernis unabhängig von dem jeweiligen Alter für alle Mitarbeiter gilt.
Fordert die Versorgungsordnung für den Versorgungsfall nur die Leistung der Rente aus der Deutschen Rentenversicherung, nicht jedoch das Ausscheiden, kann mit dem Abruf einer vollen vorgezogenen Altersrente auch der Anspruch auf Zahlung der Betriebsrente entstehen.
Anrechnungsfähige Dienstzeit
Einige Versorgungswerke sehen vor, dass die anrechnungsfähige Dienstzeit bei Inanspruchnahme der Rente aus der Deutschen Rentenversicherung endet. In einem solchen Fall wäre daher mit Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung die anrechnungsfähige Dienstzeit beendet, obwohl der Mitarbeiter weiterhin in den Diensten des Unternehmens tätig ist. Dies würde auch dann gelten, wenn nur eine kleine Teilrente bezogen würde. Daher stellt sich bei einer derartigen Konstellation die Frage, ob die aktuelle Regelung beibehalten werden soll, eher dringend.
Umgang mit weiteren Rentenzuwächsen
Wenn ein Mitarbeiter bei vorgezogenem Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gleichzeitig auch die Betriebsrente fordern kann (weil beispielsweise das Ausscheiden aus dem Unternehmen nicht Voraussetzung für den Leistungsbezug ist) und er weiterhin tätig ist, stellt sich die Frage, ob er auch weitere Rentenzuwächse erwerben kann. Da das Arbeitsverhältnis weiterhin unverändert fortbesteht, ist nicht davon auszugehen, dass eine neue Versorgungsanwartschaft begründet wird, welche per se als Neuzusage mit gesonderten Unverfallbarkeitsfristen zu behandeln wäre. Sollten nach dem Wortlaut der Versorgungsordnung jedoch weiterhin Rentenansprüche erworben werden, stellt sich die Frage, ob und wie eine Versorgungsleistung zu einem späteren Zeitpunkt neu zu berechnen wäre, beispielsweise bei einem späteren rechtlichen Ausscheiden aus den Diensten der Gesellschaft. Eine weitere Thematik stellt sich für Rückdeckungsversicherungen, wenn aufgrund des Versorgungsfalls und der Zahlung der Betriebsrente die Leistung der Rückdeckungsversicherung abgerufen wird. Hier könnte der Arbeitgeber für weitere Anwartschaftssteigerungen nicht mehr auf die Rückdeckungsversicherung zugreifen und er wäre ggf. gezwungen, andere Finanzierungsmittel zu suchen. Unter Umständen könnte das Unternehmen auch entscheiden, weitere Rentenzuwächse ab dem Eintritt des Versorgungsfalls abzulösen. So könnte beispielsweise ein Cash-Äquivalent gezahlt werden, welches allerdings dann so zu bemessen wäre, dass dem Mitarbeiter hierdurch im Vergleich mit dem entgehenden Rentenzuwachs keine Nachteile entstehen (z.B. durch höhere steuerliche Belastungen etc.).
Sonderfall Entgeltumwandlung
Der Anspruch auf Entgeltumwandlung hängt grundsätzlich an der Pflichtversicherung in der Deutschen Rentenversicherung (vgl. Kasseler Kommentar, § 41 SGB VI, Rn. 7). Mit dem Flexirentengesetz vom 13.12.2016 wurden einige Änderungen zur Versicherungspflicht in der Deutschen Rentenversicherung eingeführt. Bei Rentenbezug vor der Regelaltersgrenze und gleichzeitiger Erwerbstätigkeit bleibt die Versicherung erhalten. Der Mitarbeiter kann daher weiterhin Entgelt umwandeln und seine Betriebsrentenleistung erhöhen.
Reaktion der Praxis auf den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen
Bei den Mitarbeitern und den Arbeitnehmervertretern kann der Entfall der Hinzuverdienstgrenzen und die damit erweiterte Möglichkeit des Bezugs einer gesetzlichen Altersrente bei gleichzeitiger Weiterarbeit eine gewisse Erwartungshaltung an den Arbeitgeber erzeugen, sich ähnlich zu verhalten. Eine Existenz verschiedener Rentenstämme nebeneinander ist allerdings verwaltungsintensiv und wirft Folgefragen (beispielsweise im Hinblick auf die Rentenanpassung nach § 16 BetrAVG) auf. Nach unserer Erfahrung prüfen einige Unternehmen eine entsprechende Anpassung der Versorgungsregelungen, wobei die teilweise erhebliche Komplexität eine sehr sorgfältige Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen und deren Folgewirkungen erfordert.