Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein hin entschieden, dass das europäische Urlaubsrecht der Anrechnung einer als Urlaub bewilligten Zeit, für die wegen Kontakts zu einer mit dem Virus SARS-CoV-2 infizierten Person Quarantäne angeordnet wurde – ohne dass der Arbeitnehmer selbst erkrankte – auf den bezahlten Jahresurlaub nicht entgegensteht. Mit dieser Auslegung hat der EuGH die Ansicht der deutschen Gerichte zu dieser Frage bestätigt. Zahlreiche weitere Vorlagebeschlüsse (z.B. des BAG v. 16.08.2022 – 9 AZR 76/22) dürften sich damit erledigen. Durch eine Gesetzesänderung vom 16.09.2022 – die auf den zu entscheidenden Fall nicht anwendbar war – sind Tage der Absonderung allerdings seit dem 17.09.2022 ohnehin nicht mehr auf den bezahlten Erholungsurlaub anrechenbar (§ 59 Abs. 1 IfSG).
Urlaub auch ohne Erholungswert
Dieser Arbeitnehmer hatte wirklich Pech: Ihm war von seiner Arbeitgeberin (Sparkasse Südpfalz) Urlaub für den Zeitraum vom 03.12. bis zum 11.12.2020 bewilligt worden. Am 02.12.2020 wurde für ihn jedoch Quarantäne nach § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) für die Zeit vom 02.12. bis zum 11.12.2020 angeordnet, weil er am Arbeitsplatz Kontakt zu einer mit SARS-CoV-2 infizierten Person gehabt hatte. Der Arbeitnehmer musste daher den gesamten Urlaub zu Hause und „abgesondert“ verbringen – „im Bereich seines Schlafzimmers und des Badezimmers“, wie der Generalanwalt beim EuGH in seinem Schlussantrag vermerkte. Der Arbeitnehmer wollte dies nicht als „bezahlten Erholungsurlaub“ im Sinne des § 1 BUrlG gelten lassen und verlangte die Gutschrift, die Arbeitgeberin lehnte ab, es kam zur Klage.
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein wies darauf hin, dass der Arbeitnehmer nach der herrschenden Auffassung der deutschen Gerichte (vgl. z.B. LAG Düsseldorf v. 15.10.2021 – 7 Sa 857/21) keinen Anspruch auf die Nichtanrechnung von Zeiträumen einer staatlich angeordneten Quarantäne habe. § 1 BUrIG habe ausschließlich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum Gegenstand, störende Ereignisse fielen als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des Arbeitnehmers. Die einzige nach deutschem Recht vorgesehene Ausnahme von diesem Grundsatz sei eine während des Urlaubs eintretende Arbeitsunfähigkeit (§ 9 BUrlG), diese Vorschrift sei jedoch auf Fälle einer behördlich angeordneten Infektionsschutzquarantäne nicht analog anzuwenden.
Vorlage an den EuGH: Uneingeschränkte Urlaubszweckerreichung europarechtlich relevant?
Das Bundesurlaubsgesetz muss im Lichte des europäischen Rechts ausgelegt werden und nicht selten hat der EuGH gerade im Bereich des Urlaubsrechts einer gefestigten Rechtsprechung deutscher Gerichte schon „einen Strich durch die Rechnung gemacht“. Wie mit Quarantäne-Fällen ohne Erkrankung (präventive Absonderung) umzugehen sei, war daher bis zu dieser Entscheidung des EuGH nicht abschließend geklärt.
Konkret vorgelegt wurde vom Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein sogar noch weitergehend die Frage, ob Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Richtlinie über Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88) und das in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerte Recht auf bezahlten Jahresurlaub einer Handhabung entgegenstehen, nach der eine Erfüllung des Urlaubsanspruchs auch dann eintritt, wenn der Arbeitnehmer während eines genehmigten Urlaubs von „einem“ (also irgendeinem) „unvorhersehbaren Ereignis wie vorliegend einer staatlich angeordneten Quarantäne betroffen ist und deswegen an der uneingeschränkten Ausübung des Anspruchs gehindert wird“.
Entscheidung des EuGH: Präventive Quarantäne nicht mit Erkrankung vergleichbar
Der EuGH sah die Vorlagefrage trotz ihrer über den Einzelfall hinausgehenden Formulierung als zulässig an, beschränkte seine Entscheidung aber dann auf die Auslegung, dass die genannten europarechtlichen Vorschriften die Übertragung des bezahlten Jahresurlaubs nicht zwingend gebieten, wenn ein Arbeitnehmer nicht krank ist, aber Quarantäne wegen eines Kontakts mit einer infizierten Person angeordnet wurde.
Dieses Ergebnis war mit Spannung erwartet worden und hätte durchaus auch anders ausfallen können, weil der EuGH im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz als Ziele der RL 2003/88 bei Auslegungsfragen immer betont, dass mit dem europarechtlich garantierten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ein „doppelter Zweck“ verfolgt werde. Nämlich es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung nach Belieben und für Freizeitaktivitäten zu verfügen. Bei einem Zusammentreffen von bezahltem Jahresurlaub mit einer aus einem anderen Grund gewährten Arbeitsbefreiung sei ein Vergleich der beiden Arten von „Urlaub“ hinsichtlich des mit ihnen verfolgten „Zwecks“ anzustellen. Beim Mutterschutz z.B. schließt es nach Ansicht des EuGH der ganz andere Zweck (Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und der Beziehung zwischen Mutter und Kind) aus, dass eine Frau während des Mutterschutzes den bezahlten Jahresurlaub zur Erholung und Freizeitgestaltung „tatsächlich erhält“. Das gleiche Argument verwendet der EuGH für den Fall krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (Genesungszweck). Danach hätte es gut sein können, dass der EuGH maßgeblich auf den unterschiedlichen Zweck des bezahlten Jahresurlaubs vom Zweck einer Quarantäne abstellt, die dazu dient, auf Kosten der persönlichen Freiheit die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit einzudämmen. Auch besteht eine Vergleichbarkeit mit dem Krankheitsfall darin, dass auch eine Absonderung in der Regel einen „unvorhersehbaren und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängigen Umstand“ darstellt, was vom EuGH für den urlaubsrechtlichen Unterschied zwischen Krankheitsfall und Elternurlaub als maßgeblich angesehen worden war.
Dennoch hat der EuGH hier anders entschieden. Ein Arbeitnehmer in Quarantäne befinde sich „in einer anderen Lage“ als ein Arbeitnehmer im „Krankheitsurlaub“, der unter physischen oder psychischen Beschwerden leide; die Quarantäne sei damit nicht vergleichbar. Diese wirke sich lediglich auf die Bedingungen aus, unter denen der Arbeitnehmer seine Freizeit gestalten kann. Anderenfalls wäre das Urlaubsrecht nur dann verwirklicht, wenn während des bezahlten Jahresurlaubs überhaupt kein Ereignis auftritt, das die Durchführung der Aktivitäten stört, denen man in seiner Freizeit nachgehen wollte. Selbst erhebliche Einbußen durch eine Absonderungsanordnung seien daher hinzunehmen.
Der EuGH hat klargestellt, was das europäische Urlaubsrecht verlangt und was nicht: Der Arbeitnehmer dürfe während des Jahresurlaubs seitens seines Arbeitgebers nur keiner Verpflichtung unterworfen werden, die ihn daran hindern kann, frei und ohne Unterbrechung seinen eigenen Interessen nachzugehen. Der Arbeitgeber sei aber nicht darüber hinaus verpflichtet, die Nachteile auszugleichen, die sich aus einem unvorhersehbaren Ereignis wie einer behördlich angeordneten Absonderung ergeben. Dies ist eine über den Sonderfall „Quarantäne“ hinausreichende und begrüßenswerte Klarstellung.