Anspruch auf 13. Monatsgehalt – Arbeitsvertrag vs. Tarifvertrag
13.02.2024

Zeitenwende für den Annahmeverzugslohn?

Wie Arbeitgeber hohe Lohnnachzahlungen vermeiden können?

 

Es kommt nicht selten vor, dass eine ausgesprochene Kündigung vor dem Arbeitsgericht für unwirksam erklärt wird. Stellt sich dies am Ende des Kündigungsschutzprozesses heraus, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich die gesamte Vergütung zahlen, die dieser ohne Kündigung verdient hätte. Dies gilt, obwohl der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist für den Arbeitgeber nicht mehr gearbeitet hat. Dieser sog. Annahmeverzugslohn ist für Arbeitgeber in Kündigungsschutzprozessen zumeist das zentrale wirtschaftliche Risiko. Je nach Länge des Kündigungsschutzprozesses kann es sich hierbei nämlich um mehrere Jahresgehälter handeln.

Allerdings müssen sich Arbeitnehmer bestimmte Posten auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen. Hierzu zählt insbesondere, was der Arbeitnehmer hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Anhaltspunkte hierfür muss der Arbeitgeber im Klageverfahren aufzeigen. Im Ergebnis handelte es sich in der Vergangenheit bei diesem Einwand um einen „zahnlosen Tiger“. Zum einen befand sich der Arbeitgeber in dem Dilemma, dass er solche Anhaltspunkte mangels Einblickes in den Bewerbungsprozess des Arbeitnehmers schlicht nicht vorbringen konnte. Darüber hinaus sah die Rechtsprechung bereits die Meldung des Arbeitnehmers bei der Agentur für Arbeit (AfA) als arbeitssuchend als ausreichende Bewerbungsbemühung an. Ob und inwieweit der Arbeitnehmer passenden Angeboten der AfA nachging, wurde vernachlässigt.

Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung aufgegeben und die Rechte der Arbeitgeber gestärkt bzw. die Pflichten für die Arbeitnehmer erheblich verschärft. Der Arbeitnehmer kann sich in der Arbeitslosigkeit nicht mehr „ausruhen“ und auf den erwartungsgemäß hohen Annahmeverzugslohn spekulieren.

 

Auskunftsanspruch für Arbeitgeber

 

Die Trendwende in der Rechtsprechung begann 2020 mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), dem Arbeitgeber im Annahmeverzugsprozess einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Auskunft über die Vermittlungsangebote, die dieser von der AfA erhalten hat, zu gewähren. Im Rahmen dieses Auskunftsanspruchs, der unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsordnung und Vergütung zu erfüllen ist, muss der Arbeitnehmer auch darlegen, inwiefern er diesen Angeboten nachgekommen ist. Dadurch erlangt der Arbeitgeber einen Einblick in den Bewerbungsprozess des Arbeitnehmers und kann Indizien für fehlende Bewerbungsbemühungen ausmachen.

 

Ernsthafte Bewerbungsbemühungen des Beschäftigten

 

Wie mehrere Landesarbeitsgerichte (LAG) bestätigt haben, muss sich der Arbeitnehmer ernsthaft um eine zumutbare anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bemühen und eine solche auch wahrnehmen. Die reine Arbeitslosmeldung genügt nicht mehr. Kann der Arbeitgeber belegen, dass der Arbeitnehmer nur wenige, bis gar keine Bewerbungsbemühungen gezeigt hat, so erlischt sein Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Ob sich der Arbeitnehmer ernsthaft bei der Arbeitssuche bemüht hat, bleibt zwar weiterhin eine Entscheidung des Einzelfalls – welche Indizien vom Arbeitgeber im Annahmeverzugsprozess dargelegt werden müssen und welche Handlungsoptionen dieser zur Reduzierung des Annahmeverzugsrisikos hat, lässt sich jedoch in Grundzügen aus den zuletzt ergangenen LAG-Entscheidungen ableiten.

 

Vortrag zur mangelnden Qualität und Quantität der Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers

 

Im zugrundeliegenden Kündigungsschutzverfahren vor dem LAG Berlin-Brandenburg zeigte der beklagte Arbeitgeber Indizien für mangelnde Quantität und Qualität der Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers auf, um die Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs zu belegen. Dieses Vorgehen hatte Erfolg. In einem Zeitraum von 29 Monaten hatte der Arbeitnehmer 103 Bewerbungen geschrieben. Dies genügte dem LAG Berlin-Brandenburg jedoch nicht. Dieses legte einen strengen Maßstab an und unterstellte, dass der Arbeitnehmer im relevanten Zeitraum ohne Arbeit gewesen sei und somit im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen entfalten hätte können und müssen. Hinsichtlich der Qualität der Bewerbungsbemühungen führte das LAG aus, dass die Bewerbungen ein kurzes und jeweils nicht individualisiertes Anschreiben mit Rechtschreibfehlern enthielten. Zudem gab der Arbeitnehmer weder Betreff noch Stellenkennzeichen in seinen Bewerbungen an. Wenn mögliche Arbeitgeber Rückfragen stellten, reagierte der Arbeitnehmer mehrfach nicht. Sofern der Arbeitnehmer keine Rückmeldung auf seine Bewerbungen erhielt, hakte der Arbeitnehmer auch nicht nach. Auf dieser Grundlage ging das LAG Berlin-Brandenburg davon aus, dass der Arbeitnehmer nur wenige bis gar keine Bewerbungsbemühungen gezeigt hatte, sodass sein Anspruch auf Annahmeverzugslohn auf Null reduziert wurde (LAG Berlin-Brandenburg v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22).

 

Vortrag mindestens einer konkreten Erwerbsmöglichkeit

 

In dem Verfahren, dass der Entscheidung des LAG Hamburg (v. 06.04.2023 – 8 SA 51/22) zugrunde lag, verwies der beklagte Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren auf einen für den Arbeitnehmer günstigen Arbeitsmarkt und trug unter Beweisangebot vor, dass bei bestimmten Arbeitgebern für den Arbeitnehmer geeignete Stellen zu besetzen gewesen seien. Dieser Vortrag führte allerdings nicht zum Erfolg. Es mangelte an konkreten Indizien für ein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers. Erforderlich sei nach dem LAG Hamburg nämlich, dass der Arbeitgeber eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit vorträgt, die dem Arbeitnehmer bekannt und deren Annahme ihm zumutbar gewesen sei. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht darauf, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine zumutbare Prozessbeschäftigung im eigenen Unternehmen anbieten oder aber den Arbeitnehmer auf konkrete Stellenangebote in anderen Unternehmen hinweisen könne. Dadurch machte das LAG Hamburg klar, dass der Arbeitgeber selbst bereits im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch Hinweis auf konkrete offene Stellen am Arbeitsmarkt sein eigenes Zahlungsrisiko erheblich mindern kann.

 

Kein böswilliges Unterlassen, wenn der Arbeitnehmer binnen drei Monaten eine neue Stelle findet und antritt

 

Das LAG Köln (v. 10.10.2023 – 4 Sa 22/23) schränkte diesen Maßstab teilweise wieder ein, indem es unterstellte, dass kein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers gegeben sei, wenn dieser binnen drei Monaten 15 Bewerbungen verfasst, eine neue Stelle findet und antritt. Der Bewerbungsprozess nach Erhalt einer Kündigung durchlaufe zumeist mehrere Phasen (in der Regel beginnend mit der Suche nach Stellenangeboten, gefolgt von der Verfassung und Versendung von Bewerbungen, schließlich der Teilnahme an Vorstellungsgesprächen und ggf. an einem Assessment-Center) und dauere normalerweise mehrere Wochen. Es könne daher ohne weiteres angenommen werden, dass der Mitarbeiter ausreichende Anstrengungen unternommen hat, um eine neue Anstellung zu finden. Der Arbeitgeber hätte in diesem Fall besondere Umstände nach Ausspruch der Arbeitgeberkündigung darlegen und beweisen müssen, um trotzdem ein böswilliges Unterlassen belegen zu können.

 

Verlagerung des Annahmeverzugslohnrisikos und seine finanziellen Folgen in die Sphäre des Arbeitnehmers

 

Aus prozesstaktischer Sicht sollte sich der Arbeitgeber bereits im Kündigungsschutzprozess der neu gewonnenen Möglichkeiten bedienen und das Annahmeverzugslohnrisiko und die damit einhergehenden finanziellen Folgen in die Sphäre des Arbeitnehmers verlagern. Da der Arbeitnehmer auch von Dritten übersandte Jobangebote in Betracht ziehen muss, kann der Arbeitgeber das Annahmeverzugslohnrisiko deutlich minimieren, indem er beispielsweise dem gekündigten Arbeitnehmer regelmäßig möglichst viele für ihn passende Stellenangebote übermittelt, sodass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Kenntnis mindestens einer passenden Stelle im Verfahren nachweisen kann. Insbesondere bei Fachkräften lässt sich dies weitgehend unproblematisch umsetzen. Dem gekündigten Arbeitnehmer obliegt es sodann, nachzuweisen, dass er sich mit den Angeboten zumindest beschäftigt hat.

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