Tarifgebundene Arbeitgeber wissen regelmäßig nicht, welche ihrer Arbeitnehmer in der tarifschließenden Gewerkschaft organisiert sind und welche nicht. Um den nicht organisierten Arbeitnehmern die gleichen tariflichen Leistungen zu gewähren wie den organisierten, enthalten die Arbeitsverträge tarifgebundener Arbeitgeber in der Regel sogenannte dynamische Bezugnahmeklauseln, die auf die einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung verweisen. Dadurch zeichnet der Arbeitsvertrag nach, was tarifvertraglich gilt. Zu Schwierigkeiten kann es kommen, wenn der Arbeitsvertrag neben der Bezugnahmeklausel Bestimmungen enthält, die mit den tariflichen Bestimmungen in Konflikt stehen. Dann stellt sich die Frage, was gilt: die arbeitsvertragliche oder die tarifvertragliche Bestimmung?
Auslegung des Arbeitsvertrages maßgeblich
So war es auch in einem vom BAG im Juni 2023 entschiedenen Fall: Die beklagte Arbeitgeberin war Mitglied des Arbeitgeberverbandes Luftverkehr e.V. und an den Manteltarifvertrag für das Bodenpersonal gebunden. Dieser bestimmte, dass die Arbeitnehmer jährlich im Mai ein Urlaubsgeld und im November ein Weihnachtsgeld jeweils in Höhe eines halben Monatsgehalts erhalten. Der Arbeitsvertrag des klagenden Arbeitnehmers regelte u.a., dass die „Rechte und Pflichten des Mitarbeiters […] sich aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften“ ergeben und die monatlichen Bezüge des Arbeitnehmers „13mal jährlich bargeldlos gezahlt“ werden. Gemäß der tariflichen Bestimmung hatte die Arbeitgeberin seit Beginn des Arbeitsverhältnisses neben dem monatlichen Gehalt im Mai und November ein Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld jeweils in Höhe eines halben Monatsgehalts gezahlt, darüber hinaus jedoch kein weiteres (13.) Monatsgehalt. Der Arbeitnehmer hatte dies auch seit jeher akzeptiert, offenbar in der Annahme, dass ein Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld jeweils in Höhe eines halben Monatsgehalts zusammen das im Arbeitsvertrag genannte 13. Monatsgehalt ergeben. Ab November 2020 stoppte die Arbeitgeberin jedoch die Zahlung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes unter Berufung auf einen frisch mit der Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag zur Bewältigung der Corona-Krise. Dieser bestimmte, dass zwischen November 2020 und Dezember 2021 kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezahlt werde. Das wollte der Arbeitnehmer nun nicht mehr akzeptieren. Er war vielmehr der Meinung, dass der Tarifvertrag zur Bewältigung der Corona-Krise ihm gegenüber nicht wirke, weil ihm sein Arbeitsvertrag ausdrücklich einen – tarifunabhängigen – Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt verschaffe.
In der Tat: Warum sah der Arbeitsvertrag die 13-malige Auszahlung der monatlichen Bezüge vor, wenn doch der Arbeitsvertrag wirklich die gültigen Tarifverträge ohne jede Einschränkung hätte nachzeichnen wollen und die Tarifverträge seit jeher kein „echtes“ 13. Monatsgehalt regelten, sondern ein zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr zur Auszahlung gelangendes Urlaubs- und Weihnachtsgeld jeweils in Höhe eines halben Monatsgehalts?
Das BAG gab dem Arbeitnehmer – wie schon die Vorinstanzen – nicht recht. Die Auslegung des Arbeitsvertrages ergebe hinreichend deutlich, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt den tariflichen Regelungen dynamisch unterworfen werden sollte. Die Bestimmung zur 13-maligen Zahlung der Bezüge stelle in diesem Regelungskontext lediglich eine deklaratorische Bestimmung zu den Zahlungsmodalitäten und eine Information zur Gesamtvergütung unter Geltung der damaligen tariflichen Regelungen dar. Die dynamische Bezugnahmeklausel enthalte keine Einschränkungen hinsichtlich ihres Geltungsumfangs. Weder sehe sie nur eine Anwendung der in Bezug genommenen Regelungen „im Übrigen“ vor noch „soweit im Arbeitsvertrag nichts anderes geregelt ist“. All dies spreche – erkennbar – für den Willen, ausschließlich und umfassend die tariflichen Regelungen anzuwenden. Mangels besonderer Anhaltspunkte für eine Abweichung von tarifvertraglichen Regelungen enthalte der Arbeitsvertrag keine eigenständige, konstitutive Regelung eines 13. Monatsbezugs.
Im Ergebnis ging der Arbeitnehmer also leer aus und hatte wegen des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrages zur Bewältigung der Corona-Krise weder einen Anspruch auf ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld noch auf ein 13. Monatsgehalt.
Klare Vertragsgestaltung
Die Gestaltung von Arbeitsverträgen hat viele Tücken. Eine ist die sog. Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB). Ergibt die Auslegung einer vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertragsklausel – anders als nach Einschätzung des BAG im referierten Fall –, dass sie mehrdeutig und somit unklar ist, geht dies zu Lasten des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer kann sich dann darauf berufen, was für ihn günstiger ist. Die Unklarheitenregel gilt auch für Arbeitsvertragsklauseln, die kollektive Regelungswerke, also insbesondere Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, in Bezug nehmen. Will der Arbeitgeber etwa einen Tarifvertrag uneingeschränkt in Bezug nehmen, darf der Arbeitsvertrag keine (für den Arbeitnehmer günstigeren) Regelungen enthalten, die dem Inhalt des Tarifvertrages widersprechen. Grundsätzlich bringt es auch keinen Mehrwert, etwa die zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses geltenden Vergütungsregelungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages im Arbeitsvertrag zu wiederholen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Bezugnahme dynamisch ausgestaltet ist und der Arbeitgeber deshalb gar nicht weiß, ob die zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses geltenden Tarifbedingungen auch noch in der Zukunft Bestand haben werden. Auch das Nachweisgesetz zwingt den Arbeitgeber nicht zur Wiederholung (§ 2 Abs. 4 Satz 1 NachwG). Will der Arbeitgeber dennoch größere Transparenz über einzelne zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses geltende Tarifbedingungen im Arbeitsvertrag schaffen, muss durch klare Vertragssprache deutlich werden, dass es sich hierbei nur um eine Information über den derzeit geltenden tariflichen Status quo handelt.