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von Cora Kosch
Sachverhalt: Die Parteien stritten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Die Klägerin war seit mehreren Jahren als Teamkoordinatorin Verkauf bei der Beklagten tätig. In einem persönlichen Gespräch konfrontierte der Geschäftsführer der Beklagten – unterstützt von einem Anwalt – die Klägerin mit dem Vorwurf, unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV der Beklagten reduziert zu haben, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Der Klägerin war zuvor nicht mitgeteilt worden, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Gesprächs sein würde. Ihr wurde ein Aufhebungsvertrag vorgelegt, den sie nach einer zehnminütigen Gesprächspause, während der alle Beteiligten im Raum blieben, unterzeichnete. Die Einzelheiten zum Verlauf des Gesprächs sind streitig geblieben. Eine Woche später focht die Klägerin den Aufhebungsvertrag an, woraufhin die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigte. Die Klägerin behauptete, den Vertrag nur unterzeichnet zu haben, da ihr für den Fall der Nichtunterzeichnung widerrechtlich mit dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung und der Erstattung einer Strafanzeige gedroht worden sei. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei die Beklagte nicht nachgekommen.
Das ArbG hatte der Klage stattgegeben, das LAG wies sie auf die Berufung der Beklagten ab. Die zugelassene Revision hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei aufgrund des Aufhebungsvertrags beendet worden.
Entscheidung: Laut BAG (Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21) sei der Aufhebungsvertrag nicht gemäß § 142 Abs. 1 i.V.m. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB wegen widerrechtlicher Drohung von Anfang an nichtig. Selbst wenn der von der Klägerin geschilderte Ablauf tatsächlich zutreffe, d.h. wenn der Arbeitgeber mit einer außerordentlichen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht haben sollte, habe der Klägerin ein Anfechtungsrecht wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht zugestanden.
Eine Drohung sei widerrechtlich, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrags eine außerordentliche Kündigung in Aussicht stellt und ein verständiger Arbeitgeber eine solche nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Die Drohung mit einer Strafanzeige sei rechtmäßig, wenn sie nur dazu dient, den Täter zur Wiedergutmachung des Schadens zu veranlassen. Eine solche Drohung sei nicht widerrechtlich, da das Mittel, also das angedrohte Verhalten, und der Zweck, die Schadenswiedergutmachung, nicht – auch nicht in der Mittel-Zweck-Relation – widerrechtlich sei. Dieser Prüfungsmaßstab des verständigen Arbeitgebers gelte auch, wenn auf Seiten des Arbeitgebers bei Ausspruch der Drohung ein Rechtsanwalt zugegen ist oder dieser die Drohung selbst ausspricht.
Vorliegend stimmte das BAG dem LAG zu, welches die Auffassung vertrat, dass ein verständiger Arbeitgeber solche Maßnahmen – die außerordentliche Kündigung und die Strafanzeige – bei der Schwere der Pflichtverletzung ebenfalls in Betracht gezogen und nicht etwa zunächst eine Abmahnung ausgesprochen hätte.
Darüber hinaus sei der Aufhebungsvertrag, so das BAG, nicht gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB unter Verletzung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen und deshalb unwirksam.
Das Gebot fairen Verhandelns sei eine vertragliche Nebenpflicht im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m § 241 Abs. 2 BGB und gebiete die Wahrung eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags. Die Interessen der Gegenseite seien angemessen zu berücksichtigen, ohne dass eigene Interessen verleugnet werden müssten. Das Gebot schütze – im Gegensatz zu § 138 BGB – nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss. Ob in einer Verhandlungssituation dieses Mindestmaß an Fairness ausnahmsweise nicht gewahrt wurde, sei anhand der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Das Gebot sei nicht allein deshalb verletzt, weil der Arbeitgeber den von ihm angebotenen Aufhebungsvertrag gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet. Dass der Arbeitnehmer dieses Angebot nur sofort annehmen kann und daher entgegen einer etwaigen geäußerten Bitte keine (weitere) Bedenkzeit erhält und/oder keinen rechtlichen Rat einholen kann, sei ein im Rahmen von Vertragsverhandlungen zulässiger Druck und nicht unfair.
In diesem Fall habe die Klägerin zwischen der außerordentlichen Kündigung und dem Aufhebungsvertrag wählen können. Die Klägerin hätte ohne Beeinträchtigung ihrer Willensfreiheit den Raum verlassen können. Dass dann der Abschluss des Aufhebungsvertrags ausgeschlossen gewesen wäre, sei gesetzliche Folge des § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine unfaire Verhandlungssituation ergebe sich daraus nicht.
Des Weiteren habe die Beklagte das Gebot fairen Verhandelns auch nicht dadurch verletzt, dass sie nach dem als zutreffend unterstellten Vorbringen der Klägerin als Alternative für den Fall des Nichtabschlusses des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung bzw. die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt hat. Dies wird damit begründet, dass eine Drohung im Sinne von § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, die mangels Widerrechtlichkeit nicht zur Anfechtbarkeit des Vertrags führt, bei der im Rahmen des Gebots fairen Verhandelns vorzunehmenden Bewertung der konkreten Situation nicht als Pflichtverletzung angesehen werden könne.
Praxishinweis: Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Diesem essenziellen Grundsatz des Vertragsrechts hat das BAG mit seiner Entscheidung Rechnung getragen. Mit den gesetzlichen Vorschriften (etwa zu Irrtümern, Täuschungen und Drohungen sowie sittenwidrigen Geschäften (§§ 119 ff., 138 BGB) existieren bereits weitgreifende Mechanismen zum Schutz der Willensbildungsfreiheit. Darüber hinausgehende Durchbrechungen des Prinzips der Vertragstreue kann es nur unter besonderen Umständen geben. Mit der von ihm entwickelten Rechtsfigur des Gebots fairen Verhandelns geht das BAG zu Recht sehr restriktiv um – so auch in diesem Fall. Konstellationen, in denen sich Arbeitnehmer unter Berufung auf das Fairnessgebot von einem Aufhebungsvertrag lösen können, werden daher aller Voraussicht nach auch zukünftig die Ausnahme sein.