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Kein Annahmeverzugslohn bei fehlender Leistungsbereitschaft

von Dr. Josefine Müh

Sachverhalt: Die Parteien stritten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Die Klägerin war bei der Beklagten seit Oktober 2016 als Marketing- und Projektmanagerin mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 3.500,00 Euro beschäftigt. Die Beklagte führt ein Cateringunternehmen und einen Dorfgasthof. Aus betrieblichen Gründen kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.08.2017 und stellte zum 01.09.2017 die Lohnzahlung ein. In der Güteverhandlung des Kündigungsschutzverfahrens berief sich die Klägerin auf den Vorrang einer Änderungskündigung, weil die Beklagte zuvor eine Stelle als Servicekraft inseriert hatte. Die Beklagte bot der Klägerin ab dem 01.10.2017 eine Prozessbeschäftigung als Servicekraft in ihrem Gasthof an, welche die Klägerin ablehnte. Das Verfahren endete Ende 2018 mit der Feststellung, dass die Kündigung unwirksam und die Klägerin weiter zu beschäftigen war. Daraufhin bot die Beklagte der Klägerin eine Prozessbeschäftigung als Frühstückskraft an. Auch diese lehnte die Klägerin ab und verwies mit Schreiben vom 05.12.2018 auf ihren Weiterbeschäftigungs-anspruch zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen. Am 10.12.2018 nahm sie wiederum auch nicht das von der Beklagten unterbreitete Angebot der Beschäftigung zu unveränderten Bedingungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an und berief sich auf ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung, aufgrund aus-stehender Vergütung wegen Annahmeverzugs seit September 2017. Im März 2019 einigten sich die Parteien auf das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2019.

Mit ihrer Klage forderte die Klägerin ausstehende Vergütung i.H.v. 63.000,00 Euro ein. Die Prozessbeschäftigung als Servicekraft sei unzumutbar gewesen. Für die im Vertrag vereinbarte Tätigkeit sei sie durchgehend leistungswillig gewesen. Ab dem 11.12.2018 habe sie sich zu Recht auf ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleitung wegen der ausstehenden Vergütungszahlung berufen.

Das ArbG wies die Klage ab, das LAG bejahte die Annahmeverzugslohnansprüche. Vor dem BAG hatte die Klägerin nur teilweise Erfolg hinsichtlich der Vergütung wegen Annahmeverzugs bis zum 10.12.2018. Für die Zeit ab dem 11.12.2018 lehnte das BAG einen Anspruch gänzlich ab.

Entscheidung: Das BAG (Urteil vom 19.01.2022 – 5 AZR 346/21) stellte fest, dass sich die Beklagte nur bis 10.12.2018 in Annahmeverzug befand. Nach dem Urteil des BAG wurde der Annahmeverzug der Beklagten zwar durch keine der angebotenen Beschäftigungen, jedoch durch den Entfall des Leistungswillens der Klägerin ab dem 11.12.2018 beendet. Denn der Annahmeverzug des Arbeitgebers setzt die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers während des gesamten Zeitraums voraus und ist damit ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht leistungsfähig oder nicht leistungswillig ist. Der Leistungswille muss sich auf die vertragsgemäße Beschäftigung beziehen, sodass die Ablehnung der an-gebotenen Prozessbeschäftigungsverhältnisse noch unerheblich war. Für den fehlenden Leistungswillen ab 11.12.2018 sprechen nach Ansicht des BAG jedoch zwei Gesichtspunkte: Zunächst war es widersprüchlich, wenn die Klägerin noch mit Schreiben vom 05.12.2018 ihre Arbeitskraft unter Bezugnahme auf den „notfalls voll-streckbaren“ Weiterbeschäftigungsanspruch anbot, um dann unmittelbar am 10.12.2018 dem Angebot dieser Beschäftigung ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung entgegenzuhalten. Bereits dies könnte als hin-reichendes Indiz für fehlenden Leistungswillen angesehen werden. Jedenfalls mit der unwirksamen Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts war nicht mehr von einem bestehenden Leistungswillen auszugehen. Denn nach Ansicht des BAG ist für die Annahme eines fortbestehenden Leistungswillens trotz Zurückbehalt der Arbeits-kraft Voraussetzung, dass das Zurückbehaltungsrecht wirksam ausgeübt wurde. Das war vorliegend nicht der Fall, da die Klägerin den geltend gemachten Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten nicht klar, eindeutig und konkret bezeichnete und die Höhe der erhaltenen und auf den Annahmeverzugslohn anzurechnenden Leistungen der Agentur für Arbeit nicht mitteilte. Damit war es der Beklagten nicht möglich, den Anspruch zu prüfen und gegebenenfalls zu erfüllen.

Im Übrigen musste sich die Klägerin für die Zeit vor dem 11.12.2018 nach § 11 Nr. 2 KSchG den böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst als Servicekraft anrechnen lassen. Zwar handelte es sich dabei um eine unterwertige Tätigkeit, welche grundsätzlich nicht geeignet war, den Annahmeverzug zu beenden. Allerdings hatte die Klägerin selbst in der Güteverhandlung auf diese Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hingewiesen und sich damit widersprüchlich verhalten, sodass die nachträgliche Ablehnung zu einem böswilligen Unterlassen gem. § 11 Nr. 2 KSchG führte.

Hinweis: Das Thema Annahmeverzugslohn ist in der Arbeitsrechtspraxis insbesondere im Zusammenhang mit Kündigungsschutzverfahren von hoher Relevanz. Der drohende Annahmeverzugslohn nach langer Prozessdauer und anschließender Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers stellt meist ein hohes Prozessrisiko für Arbeitgeber dar. Die Entscheidung des BAG zeigt jedoch, dass nicht in sämtlichen Fällen der Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden kann. Verhält sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraums widersprüchlich oder hält er seine Arbeitsleistung unberechtigt zurück, entfällt sein Anspruch auf Vergütung. Unüberlegte Schritte des Arbeitnehmers können damit zu Rechtsnachteilen führen, umgekehrt kann durchdachtes Vorgehen auf Arbeitgeberseite den Wegfall oder zumindest die Minderung des Annahmeverzugslohns bewirken. Da die Fragen rund um den Annahmeverzug des Arbeitgebers komplex und teilweise stark umstritten sind, lohnt es sich in jedem Fall, strategisch und gut überlegt vorzugehen.

 

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