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Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens – Keine Altersdiskriminierung bei provozierter Absage

von Liv-Loreen Perkhoff LL.M.

Das BAG hatte sich mit der Frage befasst, ob die Ablehnung eines Arbeitgebers des öffentlichen Dienstes, Bewerbende einzustellen, die das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente bereits vollendet haben, altersdiskriminierend ist.

Sachverhalt: Die Parteien stritten im Einzelnen über eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) wegen einer möglichen Benachteiligung wegen des Alters. Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Bewerbung über 70 Jahre alt. Zuvor war er als Oberamtsrat im Bundespresseamt tätig. Er bewarb sich im Juli 2019 als Pensionär auf eine Bürosacharbeiterstelle nach TVöD bei einer öffentlichen Arbeitgeberin. Diese hatte in der Stellenausschreibung u.a. Wert auf Aufgeschlossenheit für IT-Anwendungen, gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen und Freundlichkeit gelegt. Für die Bewerbung sollte ein Onlinebewerbungsportal genutzt werden. Statt dieses zu nutzen, verschickte der Kläger die Bewerbungsunterlagen per E-Mail an die Pressestelle der Beklagten. Das Anschreiben, welches einige Grammatik- und Rechtschreibfehler enthielt, lautete:

„Sehr geehrte Damen und Herrn, laut meiner u.a. Kontaktdaten bin ich Facharbeiter in nahezu allen Verwaltungsangelegenheit. Aus meine Zeugnissen ersehen Sie bitte, dass ich sicherlich nicht klüger als meine Mitbewerbe bin habe jedoch einen wertvollen Mehrwert- an Lebens,- und Berufserfahrungen.(…) Meine monatliche Höchstverdienstgrenze beträgt pensionsbedingt Brutto 1.600,-?. Zurzeit bin ich ehrenamtlich Bereich der EU tätig. Freuen Sie sich auf ein Vorstellungsgespräch.“

Daraufhin bat die Beklagte den Kläger, dass dieser das Bewerbungsportal nutzen solle. Dieser antwortete lediglich „sorry mit Ihnen kann ich nicht arbeiter. Bitte stornieren sie meine Bewerbung“. Letztlich nahm der Kläger aufgrund einer manuellen Eingabe der Daten in das System durch die Beklagte trotzdem am Bewerbungsverfahren teil. Nachdem die Beklagte dem Kläger eine Absage erteilte, machte der Kläger eine Zahlung auf Entschädigung geltend. Er war der Auffassung, er sei durch die Ablehnung seiner Bewerbung wegen seines Alters benachteiligt worden, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung gäbe.

Entscheidung: Im Ausgangspunkt stellte das BAG (Urteil vom 31.03.2022 – 8 AZR 238/21) fest, dass der Kläger eine unmittelbare Benachteiligung wegen seines Alters erfahren hat, da seine Bewerbung bei der Beklagten deshalb keinen Erfolg hatte, weil er als externer Bewerber bereits die tarifliche Regelaltersgrenze (§ 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD) überschritten hatte. Allerdings ließ das BAG es offen, ob eine solche Differenzierung durch einen Arbeitgeber, der an die tarifliche Altersgrenze gebunden ist, zulässig ist. Denn der Entschädigungsanspruch des Klägers war dem Einwand des Rechtsmissbrauchs gem. § 242 BGB ausgesetzt. Rechtsmissbrauch ist nach dem BAG dann anzunehmen, sofern sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern allein, um den formalen Status als Bewerbender i. S. v. § 6 Abs 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen. Der Arbeitgeber ist für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs darlegungs- und beweisbelastet.

Im zugrunde liegenden Verfahren folgte die Rechtsmissbräuchlichkeit nicht allein daraus, dass die Bewerbungs-E-Mail einige offensichtliche Rechtschreib- sowie Grammatikfehler aufwies und eine ungewöhnliche Wortwahl beinhaltete und damit auf eine mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung schließen ließ. Der Rechtsmissbrauch folgte vielmehr daraus, dass sich bei Würdigung des Inhalts sämtlicher Schreiben des Klägers und seines Verhaltens im Zusammenhang mit seiner Bewerbung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Stellenausschreibung ergab, dass der Kläger es geradezu auf eine Absage der Beklagten angelegt, also eine Absage provoziert hatte.

Das BAG stützte die Rechtsmissbräuchlichkeit darauf, dass der Kläger sein oberhalb der Regelaltersgrenze liegendes Lebensalter deutlich in den Vordergrund gerückt habe, aber gleichzeitig auf die gestellten Anforderungen der Beklagten wenig eingegangen sei. Im Gegenteil habe er durch sein Verhalten und Anschreiben das Fehlen wichtiger Voraussetzungen hervorgehoben. Mit seinen Ausführungen zur „Höchstverdienstgrenze“ habe er erhebliche Zweifel geschürt, ob er in Anbetracht der Höhe seiner Pensionsbezüge überhaupt bereit wäre, die ausgeschriebene Tätigkeit in Vollzeit zu verrichten. Denn das Tabellenentgelt des TVöD lag weit über der vom Kläger benannten „Höchstverdienstgrenze“. Ferner habe der Kläger durch sein Verhalten deutlich gemacht, dass er eine mangelnde Aufgeschlossenheit für IT-Anwendungen habe, obwohl diese Eigenschaft zum Stellenprofil gehörte. Darüber hinaus sprächen Schreiben ohne Anrede und Grußformel nicht für die geforderte Freundlichkeit im Stellenprofil.

Bei Würdigung aller Umstände des Falles war ersichtlich, dass sich der Kläger bewusst als ein in wesentlichen Punkten ungeeigneter Bewerber präsentierte und dadurch gezielt eine Absage provozierte. Gegenteilige Anhaltspunkte waren laut dem BAG nicht ersichtlich.

Praxishinweis: Der Entscheidung können hilfreiche Argumente entnommen werden, wann der Einwand des Rechtsmissbrauchs erhoben werden kann. Außerdem geht aus der Entscheidung hervor, dass eine Rechtfertigung der betreffenden Benachteiligung wegen des Alters – laut BAG – jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen ist. Soweit der Arbeitgeber mit der Ablehnung „externer“ Bewerbender, die das Eintrittsalter für den Bezug einer Regelaltersrente bereits vollendet haben, das Ziel verfolgt, den Zugang jüngerer Personen zur Beschäftigung zu fördern, stellt dies – laut BAG – ein legitimes Ziel dar. Zumindest dann, wenn für die zu besetzende Stelle ein geeigneter Bewerbender zur Verfügung steht, der die sog. Regelaltersgrenze noch nicht vollendet hat oder es sich bei der Stelle um einen dauerhaft zu besetzenden Arbeitsplatz handelt. In diesen Fällen dürfte die auf das Überschreiten der sog. Regelaltersgrenze gestützte Ablehnung eines Bewerbenden zumindest dann angemessen und erforderlich sein, wenn der abgelehnte Bewerbende über auskömmliche Altersrentenbezüge bzw. Pensionsansprüche verfügt.

 

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