Frauen und Männer haben Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Eine unterschiedliche Vergütung kann der Arbeitgeber nicht damit begründen, der männliche Kollege habe „besser verhandelt“.
Der Streitpunkt: Die Arbeitnehmerin erhielt ein geringeres Gehalt als ihr Kollege
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit 180 Arbeitnehmern. Die Klägerin ist dort seit dem 01.03.2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wurde ein Gehalt von EUR 3.500,00 brutto vereinbart. Neben der Klägerin waren zwei männliche Arbeitnehmer als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb beschäftigt, einer davon seit dem 01.01.2017. Die Arbeitgeberin hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Gehalt von 3.500,00 Euro brutto angeboten. Dieser verhandelte jedoch ein höheres Gehalt (EUR 4.500,00 brutto). Später zahlte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer EUR 3.500,00 und zusätzlich Provision. Ab dem 01.07.2018 erhöhte sie dessen Grundgehalt auf EUR 4.000,00 brutto. Schließlich richteten sich die Gehälter sowohl der Klägerin als auch ihres männlichen Kollegen nach einem Haustarifvertrag. Nach den Überleitungsbestimmungen erhielt die Klägerin bei gleicher Eingruppierung wegen des bisher geringeren Gehalts weiterhin ein geringeres Gehalt als ihr Kollege.
Die Klägerin verlangte (rückwirkend) Zahlung der Differenz zum Gehalt des männlichen Kollegen sowie eine Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Sie verrichte die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege und habe daher auch Anspruch auf das gleiche Gehalt.
„Besseres Verhandeln“ rechtfertigt kein unterschiedliches Gehalt
Das BAG gab der Klägerin Recht. Frauen und Männer haben einen gesetzlichen Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 Abs. 1 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG). Eine unterschiedliche Bezahlung „wegen“ des Geschlechts ist unzulässig.
Nach Auffassung des BAG verrichteten die Klägerin und ihr Kollege die gleiche Arbeit (Vertrieb im Außendienst bei gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnissen). Die Klägerin sei aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden, weil ihr Kollege für die gleiche Arbeit ein höheres Gehalt erhalten habe. Dass dieser besser verhandelt habe, rechtfertige dies nicht.
Geringe Schwelle für Diskriminierungsvermutung zulasten des Arbeitgebers
Da im Vertriebsaußendienst neben der Klägerin lediglich zwei männliche Kollegen tätig waren, begründet nach dem BAG allein die Tatsache, dass einer der Kollegen für die gleiche Arbeit ein höheres Gehalt erhalten hatte, eine Vermutung dafür, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei (§ 22 AGG). Der Median oder Durchschnitt wurde nicht betrachtet. In der Folge kehrte sich die Beweislast um. Die Arbeitgeberin musste die Vermutung für die Diskriminierung widerlegen. Dazu war der Nachweis zu führen, dass nicht das Geschlecht, sondern ausschließlich andere Gründe für die geringere Vergütung ausschlaggebend gewesen sind. Diesen Nachweis konnte die Arbeitgeberin nicht erbringen.
Angleichung nach oben und Entschädigung als Folge der Diskriminierung
Folge der unzulässigen Benachteiligung war wie stets auch hier die Angleichung nach oben, also der Anspruch auf die Differenz zum höheren Entgelt des Kollegen. Als Entschädigung für die erfolgte Diskriminierung (§ 15 Abs. 2 AGG) setzte das BAG EUR 2.000,00 fest (die Klägerin hatte EUR 6.000,00 gefordert).
Diese Grundsätze müssen jetzt bei der Festlegung der Vergütung beachtet werden
Der Entscheidung des BAG sind (vereinfacht) insbesondere folgende wesentliche Grundsätze zu entnehmen, die der Arbeitgeber bei der Vergütung zu beachten hat:
- Frauen und Männer haben Anspruch auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Eine Benachteiligung „wegen“ des Geschlechts ist verboten.
- Eine (unmittelbare) Benachteiligung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält als ein Arbeitnehmer des anderen Geschlechts.
- Entgelt sind alle Vergütungsbestandteile einschließlich Sachleistungen. Alle Vergütungsbestandteile sind jeweils gesondert zu vergleichen, z. B. das Grundgehalt nur mit dem Grundgehalt ohne Provision.
- Unter einer gleichen Arbeit sind identische oder gleichartige Tätigkeiten zu verstehen.
- Gleichwertige Arbeit meint verschiedenartige Arbeit von gleichem Wert. Dabei kann es sich um sehr unterschiedliche Tätigkeiten handeln (z. B. hat der EuGH geprüft, ob die Tätigkeit einer Hebamme und die eines Krankenhausingenieurs gleichwertig sind). Methoden der Arbeitsbewertung müssen diskriminierungsfrei sein.
- Im Einzelfall kann die Vermutung für eine geschlechtsbezogene Entgeltbenachteiligung z. B. dadurch widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Kraft zu besetzen oder das höhere Entgelt wegen der besseren Qualifikation oder größeren einschlägigen Berufserfahrung gezahlt wurde und die unterschiedliche Bezahlung nicht zumindest auch wegen des Geschlechts erfolgt ist. Bloße Behauptungen reichen allerdings nicht. Beispielsweise müssen etwaige Personalgewinnungsschwierigkeiten detailliert dargelegt werden.
Die Entscheidung stellt die Arbeitgeber vor große Herausforderungen
Die Entscheidung zeigt: Die Vergütung mit Arbeitnehmern einzeln zu verhandeln, ist riskant. Die Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt wird einfacher. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber den Arbeitnehmern in naher Zukunft deutlich weiterreichende Auskunftsansprüche an die Hand geben wird als bisher.
Der Entwurf für die Reform des EntgTranspG sieht Entsprechendes vor (vgl. infomaat 08.2023: Neuer Auftrag aus Brüssel zur Entgeltgleichheit). Vergütungssysteme bieten nur dann mehr Schutz, wenn sie ihrerseits diskriminierungsfrei, also geschlechtsneutral sind. Dafür fehlt es an hinreichend klaren Orientierungshilfen. Angesichts spärlicher Rechtsprechung ist weitgehend offen, welche Arbeiten gleich und v.a. welche gleichwertig sind und wie Gehaltsunterschiede konkret gerechtfertigt werden können. Das Gesetz spricht nur sehr abstrakt (und nicht abschließend) von arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogenen Kriterien. Für tarifvertragliche Vergütungssysteme gilt nach § 4 Abs. 5 EntgTranspG eine Angemessenheitsvermutung. In jedem Fall ist eine ausreichende Dokumentation sicherzustellen. Und es bleibt die Frage, ob und wie im Einzelfall in der Vergangenheit verankerte Ungleichbehandlungen außer durch Angleichung nach oben „neutralisiert“ werden können.