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Neuer Auftrag aus Brüssel zur Entgeltgleichheit

Die Europäische Entgelttransparenz-Richtlinie

RL EU/2023/970

 

Zugegeben: Neu ist das Recht auf gleiches Entgelt von Frauen und Männern bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit nicht. Es ist vielmehr bereits seit den Römischen Verträgen im Jahr 1957 ein Grundprinzip der EU und in Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dort auch prominent verankert. Bei einem (statistischen) Blick in ihre Mitgliedstaaten muss die Europäische Kommission allerdings immer wieder feststellen, dass Wunsch und Wirklichkeit weiterhin auseinander liegen. Der sog. Gender Pay Gap, also das geschlechtsspezifische Lohngefälle zwischen Frau und Mann, liegt in der EU bis heute bei rund 14 % und selbst diesen EU-Durchschnittswert verdanken wir in Deutschland keiner Eigenleistung. Bei einer Spannbreite der Mitgliedstaaten von 0,2 % (Luxemburg) bis 20,5 % (Estland) rangiert Deutschland mit 18 % auf einem der hinteren Ränge.

Die Europäische Kommission legte nun im März 2021 die Richtlinie „zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ vor und verschärft in dieser die Durchschlagskraft ihrer bisherigen Richtlinien deutlich. Der Grundsatz der Lohngleichheit soll zukünftig durch verbindliche Maßnahmen weitgehend durchgesetzt werden können. Die Richtlinie wurde zwischenzeitlich veröffentlicht und ist am 6. Juni 2023 in Kraft getreten. Nunmehr müssen die EU-Mitgliedstaaten die Vorgaben der Richtlinie spätestens in drei Jahren in nationales Recht umgesetzt haben. Für den deutschen Gesetzgeber bedeutet dies insbesondere die Überarbeitung oder sogar Neugestaltung des seit 2017 bestehenden Entgelttransparenzgesetzes. Hierbei werden wir uns auf das Folgende einstellen müssen:

 

Die wesentlichen Vorgaben der Europäischen Entgelttransparenz-Richtlinie

 

Wer angesprochen ist: Der Anwendungsbereich ist sehr weit gefasst und erstreckt sich auf alle Arbeitgeber des privaten wie öffentlichen Sektors sowie auf alle Arbeitnehmer. Nach dem Prinzip „wehret den Anfängen“ geht die europäische Richtlinie sogar soweit, schon Stellenbewerbern einen Anspruch auf Auskunft über die Höhe des Einstiegsgehalts bzw. dessen Spanne (nebst Bonussystemen) einzuräumen. Spannend, bedenkt man, wie einfach auch Konkurrenten zukünftig die genannten Informationen erhalten können. Die Frage nach dem bisherigen Gehaltsverlauf der Bewerber soll hingegen unzulässig werden.

Was bereitgehalten werden muss: Vollkommen losgelöst von der Größe des Unternehmens oder der gebildeten Vergleichsgruppe soll jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf Auskunft über die individuelle Entgelthöhe und die durchschnittlichen Entgelthöhen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche Arbeit oder gleichwertige Arbeit verrichten, erhalten. Die vorgeschriebene Reaktionszeit wird hierbei von bisher drei auf zwei Monate verkürzt sowie der bisher in Deutschland angewendete statistische Median grundlegend in Frage gestellt. Interessant ist hier, dass neben den Arbeitnehmern auch deren Vertretung, in Deutschland also vornehmlich der Betriebsrat, den Auskunftsanspruch geltend machen können soll. Über diese Vorgabe könnten im Betriebsverfassungsgesetz bisherige Grenzen der Mitbestimmung ins Wanken gebracht werden.

Weitere sich ergebende Pflichten: Abhängig von der Größe des Unternehmens sind Verschärfungen hinsichtlich der Transparenz bei der Festlegung des Entgelts und der Politik der Entgeltentwicklung (ab 50 Arbeitnehmern) und erweiterte Berichtspflichten hinsichtlich der (Entgelt-)Organisation des Unternehmens, des geschlechtsspezifischen Entgeltgefälles und des mittleren geschlechtsspezifischen Entgeltgefälles (ab 100 Arbeitnehmern) vorgesehen. Im Rahmen dieses Pflichtenkatalogs könnte es ebenfalls zu einem Beben in Bezug auf die bisherige Reichweite der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats kommen. Dem Arbeitgeber wird nun nämlich vorgegeben, bei einem bestehenden Lohngefälle von mindestens 5 % in einer Vergleichsgruppe „in Zusammenarbeit mit“ seinen Arbeitnehmervertretern eine Lohnbeurteilung durchzuführen.

Was bei Nichtbeachtung zu erwarten ist: Die Richtlinie setzt vor allem auf einen Kanon aus Schadensersatz und Sanktion. In beiden Fällen eröffnet die Richtlinie zwar einen Gestaltungsspielraum für die Mitgliedstaaten; vorgegeben ist allerdings, dass sichergestellt werden muss, dass die Arbeitnehmer vollständigen Schadensersatz oder vollständige Entschädigung, inklusive immaterieller Schäden, verlangen können. In Deutschland würde damit Neuland betreten, wobei die von den Mitgliedstaaten einzuführenden Regelungen zudem einen Unterlassungsanspruch und die Möglichkeit der Anordnung von Zwangsgeldern vorsehen sollen. Im Bereich der Vorgabe für Sanktionen (insb. auch Geldbußen) müssen diese wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

 

Konsequenzen für die Praxis

 

Ungeachtet der Tatsache, dass der jeweils für die Länder statistisch errechnete (schlechte) Gender Pay Gap zu einem nicht unbeachtlichen Anteil wohl auch auf einer weiterhin bestehenden Mehrheit der Frauen in Teilzeit und / oder in generell schlechter bezahlten Tätigkeiten zurückzuführen sein wird, konstatiert der europäische Gesetzgeber den Kern des Problems vorwiegend in nicht transparenten Entgeltsystemen, schlechter Definitionslage und einem fehlenden Sanktionssystem – mithin in all dem, in welchem (auch) das deutsche Entgelttransparenzgesetzes bisher „auf Lücke setzt“. Ohne jeden Zweifel wird der deutsche Gesetzgeber also deutlich nachschärfen müssen. Ob das Nachschärfen im Ergebnis tatsächlich zur Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern oder einfach nur erneut zu einem erheblichen Mehr an Bürokratie und staatlicher Kontrolle führen wird, dürfte von der Umsetzung der Richtlinie im Konkreten abhängen.

Wir erwarten allerdings, dass der deutsche Gesetzgeber dieses Mal eher früher denn später einen Anlauf nehmen wird. Denn nicht zu verkennen ist, dass es Anfang dieses Jahres bereits vor der finalen Europäischen Entgelttransparenz-Richtlinie deutliche Impulse der deutschen Rechtsprechung in die Richtung der europäischen Vorgaben gab. Das BAG entschied, dass geringfügig Beschäftigte bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine niedrigere Stundenvergütung erhalten dürfen als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer (BAG v. 18.01.2023, 5 AZR 108/22). Nur vier Wochen später wird diese Entscheidung durch die Feststellung flankiert, dass Verhandlungsgeschick im Bewerbungsverfahren kein sachlich rechtfertigender Grund für eine ungleiche Vergütung zwischen Frauen und Männern ist (BAG v. 16.02.2023, 8 AZR 450/21).

Eines ist jedenfalls klar: Ein Warten auf den Tag der deutschen Umsetzung ist dieses Mal nicht zu empfehlen. Hierfür sind die Vorgaben der Richtlinie bei weitem schon zu eng gefasst und vor allem vom Gesetzgeber zwingend auch sanktionsbewehrt zu gestalten. Unternehmen sollten sich daher bereits jetzt – sofern noch nicht geschehen – mit ihren innerbetrieblichen Entgeltsystemen auseinandersetzen und diese auf Entgeltgleichheit prüfen. Das im Einzelfall durchaus schwierig zu beurteilende Vorliegen sachlicher Gründe für eine Entgeltdifferenzierung sollte sorgfältig, ggf. mit Hilfe externer Rechtsberater, geprüft und dokumentiert werden. Denn weder bestehende noch ggf. zukünftig entstehende Entgeltungleichheiten werden sich, sofern für sie kein sachlich rechtfertigender Grund besteht, kurzfristig (wieder) beseitigen lassen. Wie im Übrigen mit dem dritten Geschlecht umzugehen sein wird, sagt uns die Richtlinie – aufgrund der uneinheitlichen Handhabungen in den Mitgliedstaaten – nicht. Es bleibt abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber hier über die Richtlinie hinaus Regelungen schaffen wird.

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