Das aktive Wahlrecht bei der Betriebsratswahl ist in § 7 S. 1 BetrVG geregelt. Danach erstreckt sich die Wahlberechtigung auf alle Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt der Stimmabgabe, d.h. spätestens am letzten Wahltag, das 16. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb angehören, in dem die Wahl stattfindet.
Wählen darf, wer in den Betrieb eingegliedert ist
Maßgeblich für die Wahlberechtigung ist also die Betriebszugehörigkeit des wählenden Mitarbeiters. Diese wird bejaht, wenn ein Mitarbeiter in den Betrieb durch Einbindung in die Betriebsorganisation eingegliedert ist. Entscheidend ist dabei nicht (nur), wo gearbeitet wird, sondern auch die Herkunft oder die Richtung der erteilten Weisungen spielen eine Rolle.
Weisungsrecht und Eingliederung in Matrixstrukturen
Gerade das Weisungsrecht kann betriebs- oder sogar, wie in Matrixstrukturen in der Regel der Fall, unternehmensübergreifend ausgeübt werden. Führungskräfte leiten dabei häufig nicht nur die Mitarbeiter eines oder desselben Betriebs, auch sind die Mitarbeiter teilweise betriebsübergreifend eingesetzt. Das veranlasste den Wahlvorstand, der für den Betrieb „Region Süd“ eines Arbeitsgebers mit insgesamt fünf Betrieben die Betriebsratswahl vorbereitete, 128 Führungskräfte auf die Wählerliste zu nehmen. Diese Führungskräfte führten auch Mitarbeiter des Betriebs „Region Süd“, gehörten gemäß ihrer arbeitsvertraglichen Zuordnung ansonsten aber jeweils anderen Betrieben der Arbeitgeberin an und waren auch dort wahlberechtigt. Der jeweilige „Stammbetrieb“ übte also das Direktionsrecht über die ihm zugeordneten Matrix-Führungskraft aus, welchen wiederum Mitarbeiter anderer Betriebe zugeordnet waren. Die Arbeitgeberin war der Ansicht, die Matrix-Führungskräfte hätten nicht mitwählen dürfen, weil sie dem Betrieb „Region Süd“ nicht angehörten und focht die Wahl an.
Doppeltes Wahlrecht bei Eingliederung in mehrere Betriebe
Die Wahlanfechtung der Arbeitgeberin führte den Streit über die Wirksamkeit der Wahl bis zum BAG. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht erklärten die Betriebsratswahl für unwirksam, weil sie davon ausgingen, dass die Matrix-Führungskräfte bereits einem der vier anderen Betriebe zugeordnet und damit ausschließlich dort wahlberechtigt waren; eine Mehrfach-Wahlberechtigung scheide aus. Das BAG ist anderer Meinung: Es ist möglich, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein.
Wie weit geht die Wahlberechtigung wirklich?
Soweit aus der bisher lediglich veröffentlichen Pressemitteilung ersichtlich, ließ das BAG offen, ob die Matrix-Führungskräfte tatsächlich auch in diejenigen Betriebe eingegliedert waren, in denen sie Mitarbeiter führten. Gerade an dieser Frage wird sich die Praxis die Zähne ausbeißen müssen. Und das kann komplizierter werden: Die für Matrix-Strukturen typische Aufspaltung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts zwischen dem Vertragsarbeitgeber und der steuernden Einheit, die einem anderen Konzernunternehmen angehört, lag in dem vom BAG entschiedenen Fall noch nicht einmal vor. Nachdem das BAG grundsätzlich davon ausgeht, dass eine Zugehörigkeit des in einer Matrix-Struktur tätigen Mitarbeiters auch zum Betrieb der steuernden Einheit begründet sein kann, obwohl zwischen ihnen kein Arbeitsvertrag besteht, könnten Matrix-Führungskräfte nicht nur doppelt, sondern mehrfach und unternehmensübergreifend wahlberechtigt sein. Der Knackpunkt wird in der Frage liegen, ob diese den jeweiligen Betrieben, in denen sie Mitarbeiter führen, tatsächlich in der Art angehören, die es für die Wahlberechtigung bedarf. Das BAG meinte in anderer Entscheidung (BAG v. 14.06.2022 – 1 ABR 13/21), eine Eingliederung sei typischerweise anzunehmen, wenn die Führungskraft zur Durchführung der ihr obliegenden Aufgaben mit den im Betrieb tätigen Mitarbeitern regelmäßig zusammenarbeiten müsse und damit ihre fachlichen Weisungsbefugnisse auch tatsächlich wahrnehme.
Die Möglichkeit der Mehrfachwahlberechtigung sollte bei der Vorbereitung der Betriebsratswahlen im Frühjahr 2026 beachtet sowie im Einzelfall – und unter Berücksichtigung der aktuell noch nicht veröffentlichen Entscheidungsgründe des BAG, sobald diese vorliegen – geprüft werden. Die Entscheidung könnte zudem Bedeutung über die Betriebsratswahl hinaus haben: Die Anzahl der wahlberechtigten Mitarbeiter ist auch maßgeblich für die Zahl der Freistellungen nach § 38 BetrVG sowie für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 95 Abs. 2, 99 Abs. 1 S. 1 und 111 Abs. 1 BetrVG.