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Darlegungslast im Kontext der Diskriminierung wegen Schwerbehinderung

von Dr. Bernd Kinzinger

Sachverhalt: Die Parteien stritten über Entschädigungsansprüche nach § 15 II AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung. Der Kläger bewarb sich auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle. Im Bewerbungsschreiben wies er auf seine Schwerbehinderung hin. Nachdem die Beklagte dem Kläger via E-Mail eine Absage erteilt hatte, machte dieser einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG geltend. Die Beklagte wies den Anspruch ab. Mit seiner Klage verfolgte der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 II AGG i.H.v. mindestens EUR 10.000,00 weiter und argumentierte, die Beklagte habe verschiedene Pflichten aus § 164 I SGB IX, u.a. die Pflicht aus § 164 I 4 SGB IX verletzt, den bei ihr eingerichteten Betriebsrat über seine Bewerbung unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten.  Diese Verstöße begründeten die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung (§ 22 AGG), welche die Beklagte nicht widerlegt habe. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe schon keine Indizien i.S.v. § 22 AGG dargelegt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten ließen. Es handele sich lediglich um unbeachtliche Behauptungen „ins Blaue hinein“. Konkreten Vortrag zur Verletzung der Pflicht aus § 164 I 4 SGB IX leistete der Kläger nicht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidung: Das BAG (Urteil vom 20.07.2023 – 8 AZR 136/22) hält die zulässige Revision des Klägers für teilweise begründet und stellt zunächst klar, dass der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 II AGG einen Verstoß gegen das in § 7 I AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraussetzt. Auch § 164 II 1 SGB IX normiert, dass Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen dürfen. Der Kläger wurde dadurch unmittelbar benachteiligt, dass er von der Beklagten im Auswahlverfahren für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt wurde. Anders als die Vorinstanz ausführte, hat der Kläger nach Ansicht der Erfurter Richter die Benachteiligung auch „wegen“ (sog. Kausalitätserfordernis) seiner Schwerbehinderung erfahren. Für die Kausalität ist ausreichend, dass die Benachteiligung an die Schwerbehinderung anknüpft oder durch diese motiviert ist. § 22 AGG sieht dabei eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Bereits der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Im konkreten Fall war es daher ausreichend, dass der Kläger vorgetragen hat, die Beklagte habe den bei ihr eingerichteten Betriebsrat entgegen den Vorgaben des § 164 I 4 SGB IX über die Bewerbung des Klägers nicht unmittelbar nach deren Eingang unterrichtet. Die Grenze zum unzulässigen Sachvortrag ist erst erreicht, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Die Beklagte wiederrum hat diese Kausalitätsvermutung nicht durch substantiellen Vortrag widerlegt. Im Ergebnis hielt das BAG einen Entschädigungsanspruch i.H.v. EUR 7.500,00 für angemessen.

Hinweis: Der 8. Senat des BAG bestätigt seine Rechtsprechung, wonach der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung i.S.v. § 22 AGG begründet, dass die unmittelbare Benachteiligung, die der erfolglose Bewerber durch die Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Überraschend ist allerdings, dass es das BAG – entgegen den Vorinstanzen – ausreichen lässt, dass der Arbeitnehmer die mangelnde Unterrichtung des Betriebsrats (§ 164 I 4 SGB IX) nur vermutete. Wo nun die Grenze zum unzulässigen Sachvortrag liegen soll, bleibt offen. Arbeitgebern ist zu raten, bei schwerbehinderten Stellenbewerbern unbedingt die Verfahrensvorschriften des SGB IX einzuhalten – hierzu gehört v.a. die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebs- bzw. Personalrats von der Bewerbung.

 

 

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