Ausgezeichnet!
20.05.2021
Schadensersatz wegen Verletzung des Bewerbungs-verfahrensanspruchs
24.06.2021

Einladung schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch trotz Verzicht

von Katharina Kanne

Sachverhalt: Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der beklagten Stadt, an die Klägerin eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer (Schwer-) Behinderung zu zahlen. Die Klägerin hatte sich bei der Beklagten um eine Stelle als Sachbearbeiterin beim Jugendamt beworben. In ihrem Bewerbungsschreiben verweist die Klägerin darauf, dass die Tatsache, dass sie schwerbehindert sei, keinesfalls ein Indiz dafür sei, dass sie unfähiger sei als andere, eine gute Arbeit abzuliefern. Einen Grad der Behinderung gab die Klägerin nicht an. Am Ende des Bewerbungsschreibens wies sie auf Folgendes hin:

„Bitte laden Sie mich nur dann zu einem Vorstellungsgespräch ein, wenn Sie mich in die engere Wahl nehmen, alles andere macht m. E. wenig Sinn.”

Eine Einladung der Klägerin, die unstreitig für die Stelle nicht offensichtlich fachlich ungeeignet war, zum Vorstellungsgespräch erfolgte nicht. Die Beklagte sendete der Klägerin eine schriftliche Absage.

Die Klägerin machte daraufhin einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung im Auswahlverfahren geltend. Nachdem die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, war die Klägerin in der Revisionsinstanz vor dem BAG teilweise erfolgreich.

Entscheidung: Nach Ansicht des BAG (Urteil vom 26.11.2020 – 8 AZR 59/20) hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Beklagte habe die Klägerin entgegen den Vorgaben des AGG sowie des SGB IX unmittelbar wegen ihrer (Schwer-) Behinderung benachteiligt. Die Klägerin sei dadurch, dass sie im Auswahlverfahren für die Sachbearbeiterstelle beim Jugendamt nicht berücksichtigt worden sei, unmittelbar i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt worden. Die Beklagte habe die Klägerin entgegen ihrer Verpflichtung nach § 165 Satz 3 SGB IX nF hat nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, was die von der Beklagten nicht widerlegte Vermutung begründe, dass die Klägerin wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Da die Klägerin fachlich nicht offensichtlich ungeeignet war, war eine Einladung der Klägerin zum Vorstellungsgespräch nicht gemäß § 165 Satz 4 SGB IX nF entbehrlich. Die Beklagte konnte sich nicht darauf berufen, dass die Klägerin ihre Schwerbehinderung nicht ordnungsgemäß mitgeteilt hatte. Die Information im Bewerbungsschreiben ist nach Auffassung des BAG insofern ausreichend gewesen. Eine Mitteilung des Grades der Behinderung sei nicht erforderlich. Im Übrigen verweist das BAG ausdrücklich darauf, dass die Beklagte nicht aufgrund eines Verzichts der Klägerin von ihrer Verpflichtung zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch befreit war.

Mit der in § 165 Satz 3 SGB IX nF normierten Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, einen Schwerbehinderten, nicht offensichtlich fachlich ungeeigneten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, korrespondiere kein individueller Anspruch bzw. kein individuelles Recht des schwerbehinderten Bewerbers, auf den er überhaupt verzichten könnte.

Hinweis: Bei der Behandlung von Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ist weiterhin Vorsicht der beste Ratgeber. Insbesondere sollte der öffentliche Arbeitgeber stets die Bewerbungsschreiben genau lesen und auf Hinweise auf eine Schwerbehinderung überprüfen, auch wenn kein Grad der Behinderung angegeben und kein Schwerbehindertenausweis vorgelegt wurde.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ein öffentlicher Arbeitgeber nicht durch einen vom (fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten) Bewerber geäußerten Verzicht von der Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch befreit wird, sodass sicherheitshalber stets eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erfolgen sollte.

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