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von André Schiepel
LAG Köln vom 22.01.2021 – 9 TaBV 58/20
Sachverhalt. Arbeitgeber und der Betriebsrat streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle. Der Arbeitgeber betreibt ein Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen. Er hat entsprechend § 5 Abs. 1 Coronaschutzverordnung NRW ein Besuchskonzept für das Krankenhaus entwickelt. Dieses entsprach den Vorgaben des RKI. Der Betriebsrat macht geltend, er habe bei der Aufstellung des Besuchskonzeptes ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Der Arbeitgeber lehnte die Mitbestimmung mit Hinweis auf die vorrangig bestehenden gesetzlichen Regelungen ab.
Entscheidung: Das Arbeitsgericht hatte dem Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle stattgegeben. Es hatte argumentiert, dass die Arbeitgeberin gesetzlich verpflichtet sei, die Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen würden. Nach der Coronaschutzverordnung NRW seien Besuche in den Krankenhäusern nur auf der Basis eines einrichtungsbezogenen Besuchskonzepts zulässig. Da gesetzliche Vorgaben, ob und wie die Zugangskontrolle und –dokumentation umzusetzen seien, nicht existieren würden, bestehe Raum für eine betriebliche Regelung, bei der der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen habe.
Das LAG Köln verwirft die vom Arbeitgeber hiergegen eingelegte Beschwerde. Es erkennt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG an und hält fest, dass sich das Mitbestimmungsrecht auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden bezieht, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setze ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen erforderlich sind, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich sei, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen. Eine solche Handlungspflicht bestehe gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Coronaschutzverordnung NRW nach der die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen seien, um den Eintrag von Coronaviren zu erschweren und Patienten, Bewohner sowie ausdrücklich auch das Personal zu schützen. Besuche seien nur aufgrund eines Besuchskonzepts zulässig, die die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts zum Hygiene- und Infektionsschutz umsetzen.
Bei der Umsetzung der Regelungen bestünde jedoch Gestaltungsspielraum. Es handele sich zudem bei der Empfehlung des Robert-Koch-Instituts nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern um die Benennung von Mindeststandards. Diese dürften Arbeitgeber und Betriebsrat im Interesse eines stärkeren Gesundheitsschutzes übertreffen.
Der Arbeitgeber muss also mit dem Betriebsrat über die Umsetzung der Coronaschutzverordnung und die Ausgestaltung eines Besuchskonzeptes entsprechend der Richtlinien des RKI verhandeln und gegebenenfalls eine Betriebsvereinbarung abschließen.
Hinweis: Die Entscheidung steht in einer Linie mit den Entscheidungen des BAG, die das Verständnis der Reichweite des Mitbestimmungsrechts zum Arbeits- und Gesundheitsschutz erweitert haben (vergleiche etwa BAG vom 08.03.2017 – 1 ABR 25/15).
Unabhängig hiervon erscheint die Entscheidung jedoch problematisch. So ist es zwar zutreffend, dass § 5 Abs. 1 Satz 1Coronaschutzerordnung auf den Schutz von Patienten, Bewohnern und Personal verweist, jedoch sind die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts zum Infektionsschutz insoweit keine Arbeitsschutzregelungen. Auch die Rechtsgrundlage der Verordnung ist keine Arbeitsschutzregelung, sondern das Infektionsschutzgesetz, welches zwar möglicherweise auch mittelbare Auswirkung auf den Arbeitsschutz haben kann, dessen Zielrichtung jedoch der allgemeine Gesundheitsschutz der Bevölkerung ist. Damit räumt das LAG dem Betriebsrat auch ein Mitbestimmungsrecht bei der Umsetzung des Infektionsschutzes und damit dem Schutz der Bevölkerung ein. Dies kann durchaus ein Widerspruch sein.
Problematisch ist auch die Ausführung des LAG, dass die Betriebsparteien einen besseren Arbeitsschutz für die Beschäftigten beschließen könnten. Dies verkennt schon die Reichweite des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Diese ist immer durch die Reichweite der gesetzlichen Vorgaben beschränkt. Eine Ausweitung des Mitbestimmungsrechtes über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, ist daher grundsätzlich nicht zulässig und kann auch die Einsetzung einer Einigungsstelle nicht rechtfertigen.
Nachdem die verschiedenen Coronaschutzverordnungen der Länder sehr ähnlich aufgebaut sind, ist davon auszugehen, dass generell bei der Gestaltung von Zugangsregelungen für öffentliche Gebäude ähnliche Schwierigkeiten auftreten können. Die Mitbestimmung sollte daher in diesen Fällen bedacht werden.