Umkleidezeiten als Arbeitszeit
09.10.2024
Diskriminierung bei Überstundenzuschlägen – EuGH stärkt Rechte Teilzeitbeschäftigter
10.10.2024

Gesinnung als Problem

Kündigung wegen Teilnahme an „Potsdamer Treffen“ selbst im öffentlichen Dienst unwirksam (ArbG Köln v. 03.07.2024 – 17 Ca 543/24)

 

Wir erleben eine spürbare politische und gesellschaftliche Polarisierung. Die Zentrifugalkräfte nehmen zu und gefährden den demokratischen Konsens – all dies spiegelt sich in der Arbeitswelt wider. Viele Arbeitgeber sorgen sich um das Betriebsklima und sehen ihr Bemühen um ein harmonisches Miteinander und ungestörte Zusammenarbeit gefährdet durch Mitarbeitende, deren oft betriebsbekannt extremistische Positionen provozieren oder deren menschen- und demokratiefeindliche Einstellung und fundamentale Ablehnung „des Systems“ so gar nicht passen zu dem, was der Arbeitgeber für wünschenswert hält oder andere Teammitglieder für tolerierbar halten. Aber wo liegt die Grenze, was muss hingenommen werden und ab welcher Belastung kann man sich trennen?

Grundsätzlich unterscheidet das Arbeitsrecht strikt zwischen Arbeits- und Privatbereich: Während der Arbeitszeit kann (jede) politische Betätigung im Betrieb untersagt werden, außerhalb des Betriebes und der Arbeitszeit hat der Arbeitgeber aber in der Regel keine Handhabe – außer dies hätte nachweislich negativen Einfluss z.B. durch Rufschädigung des Unternehmens oder durch die Begründung von konkreten Zweifeln an der Zuverlässigkeit und Loyalität („Treue“) des Arbeitnehmers. Wie enorm hoch dabei allerdings „die arbeitsrechtliche Latte hängt“, hat vor Kurzem ein Fall des Arbeitsgerichts Köln gezeigt.

 

„Potsdamer Treffen“ von AfD-Mitgliedern und Rechtsextremen zum Thema „Remigration“

 

Es ging um eine Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst: 63-jährige Diplom-Verwaltungswirtin und zuletzt im „Zentralen Beschwerdemanagement“ des Umwelt- und Verbraucherschutzamts der Stadt Köln als „Beschwerdekoordinatorin“ tätig – der im Urteil beschriebene Zuständigkeitsbereich deutet auf eine wohl als Ende einer Karriere-Sackgasse zu interpretierende Funktion hin (selbstverständlich sehr ordentlich vergütet und ordentlich unkündbar). Diese hatte, auf persönliche Einladung hin, an dem investigativ aufgedeckten und dann über Wochen die Schlagzeilen beherrschenden Geheimtreffen eines Kreises rechter und teils rechtsextremer Aktivisten in Potsdam am 25.11.2023 teilgenommen, bei dem man sich über Perspektiven und Planungen zur „Remigration“ austauschte. Die Berichterstattung rief, wie das Urteil festhält, „in der Öffentlichkeit ein großes Echo hervor und führte zu Massenprotesten“, veröffentlicht wurde dabei auch der Name der Mitarbeiterin.

Die Empörung war groß, eine ordentliche Kündigung aufgrund der Tarifbedingungen des öffentlichen Dienstes infolge Beschäftigungsdauer und des Alters ausgeschlossen, vorbereitet wurde daher eine außerordentliche Kündigung. Der Amtsleiter war umsichtig, hörte die Mitarbeiterin zu allen nicht 100%ig gesicherten Umständen und Verdachtsmomenten an und erklärte, weil auch die Belegschaft eine weitere Zusammenarbeit ablehnte, mit Zustimmung (!) der Personalvertretung mehrere Kündigungen, außerordentlich fristlos und zudem vorsorglich außerordentlich mit sozialer Auslauffrist, jeweils sowohl als Tat- und als Verdachtskündigung.

 

Pflichtverstoß oder Eignungsmangel?

 

Die Stadt berief sich im Kündigungsschutzverfahren auf den Verstoß gegen eine beamtenähnlichen Treue- und Loyalitätspflicht durch eine Teilnahme an diesem sog. „Potsdamer Treffen“, weil sie sich damit absichtlich und aktiv an einer Vernetzung unterschiedlicher Akteure aus dem rechtsextremen und rechtskonservativen Spektrum beteiligt habe, das dem Ziel diente, den „Masterplan Remigration“ voranzutreiben. Die Klägerin habe mit ihrer Teilnahme erkennbar nach außen zum Ausdruck gebracht, dass sie sich mit den dort diskutierten verfassungsfeindlichen Plänen gemein mache und keine Gewähr mehr dafür biete, stets für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten (wie dies im öffentlichen Dienst verlangt ist). Aufgrund der starken öffentlichen Diskussion – auch über den Teilnehmerkreis – habe ihr Verhalten zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses geführt, eine Weiterbeschäftigung würde sowohl innerhalb der Stadtverwaltung als auch bei den Bürgern auf völliges Unverständnis stoßen und insbesondere den Kollegen mit Migrationshintergrund sei es unvorstellbar und nicht zumutbar, mit der Klägerin weiterhin zusammenzuarbeiten. Reichte das?

Das Arbeitsgericht Köln hat entschieden, dass eine Kündigung nicht zulässig war. Es liege kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, weder als Tat- noch als Verdachtskündigung, weder personen- noch verhaltensbedingt. Bei Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele komme eine Kündigung zwar grundsätzlich sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht und selbst das außerbetriebliche politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation könne kündigungsrechtlich beachtlich sein. Eine verhaltensbedingte – außerordentliche oder ordentliche – Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setze jedoch voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten sei, entweder im Leistungsbereich oder im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich. Eine personenbedingte Kündigung komme unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehle, was sich im öffentlichen Dienst aus begründeten Zweifeln an seiner Verfassungstreue ergeben könne (Art. 33 Abs. 2 GG). Entscheidend für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung sei jedoch auch dann, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten „in die Dienststelle hineinwirken“ und die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren.

 

Es hat nicht gereicht

 

Nach Auffassung des Gerichts fehlte es an einer Verletzung der Treupflicht; die Arbeitnehmerin habe in ihrer konkreten Funktion nur eine einfache Treuepflicht getroffen, keine „beamtenähnlich“ gesteigerte; geschuldet sei daher lediglich ein solches Maß an politischer Loyalität, das für die funktionsgerechte Verrichtung der Tätigkeit unabdingbar sei. Ihre Tätigkeit im „Beschwerdemanagement“ sei keine herausgehobene Tätigkeit, eine nur einfache Treuepflicht jedoch werde erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet sei, verfassungsfeindliche Ziele aktiv zu fördern und zu verwirklichen. Auch die im öffentlichen Dienst grundsätzlich erweiterte Treuepflicht (erhöhte Rücksichtnahmepflichten aufgrund des jeweils ausgeübten Amtes) sei nicht verletzt, denn die bloße Teilnahme an dem Treffen rechtfertige noch nicht den Schluss, dass die Arbeitnehmerin sich in innerer Übereinstimmung mit dem Inhalt der dortigen Wortbeiträge befunden habe; ein eigenes aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele, etwa durch eigene Wortbeiträge im Rahmen des Treffens, habe der Arbeitgeber nicht behauptet bzw. belegen können.

Das Arbeitsgericht sah keine hinreichende konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses, weder durch die Stimmen aus der Belegschaft noch der Öffentlichkeit. Bloßes „Unverständnis“ innerhalb der Verwaltung oder auch bei den Bürgern der Stadt reiche für eine Störung des Arbeitsverhältnisses nicht aus, insbesondere da die Klägerin als Ansprechpartnerin im internen Beschwerdemanagement des Umweltamts keine exponierte Stellung eingenommen habe. Da kein konkreter Beitrag der Klägerin im Rahmen des „Potsdamer Treffens“ bekannt war, der ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele darstellen würde, sei auch keine generelle Unzumutbarkeit einer Zusammenarbeit mit der Klägerin für Beschäftigte mit Migrationshintergrund anzunehmen. Der Vortrag der Arbeitgeberin, die Mitarbeiter des Amtes hätten „deutlich gemacht“, dass sie zu einer Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr bereit seien, blieb dem Arbeitsgericht „zu unkonkret und nicht greifbar“, um eine konkrete Beeinträchtigung zu begründen oder eine Druckkündigung zu rechtfertigen.

 

Was können Arbeitgeber tun?

 

So bedauerlich man das Ergebnis finden mag: Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist fundiert begründet und lehrreich. Auch wenn bestimmte Überlegungen nur den öffentlichen Dienst betreffen, lässt sich im Erst-Recht-Schluss für die private Wirtschaft feststellen: Kündigungen aufgrund außerdienstlichen Verhaltens von Beschäftigten oder wegen zwar hochgradig zu missbilligender, aber sich nicht konkret in Arbeitsleistung oder Arbeitsverhalten niederschlagender Überzeugungen unterliegen extrem hohen Anforderungen und werden sehr genau geprüft. Solange der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz die Regeln einhält und „tut, was er soll, so gut er es kann“, und sich nicht für die geschuldete Arbeitsleistung als völlig ungeeignet und nicht mehr einsetzbar erweist, kann eine Beendigung gegen bestehenden Kündigungsschutz kaum durchgesetzt werden. Dies gilt selbst für Mitarbeiter mit bekannt hochproblematischen Ansichten, solange sich ihre Gesinnung nur als „innere Tatsache“ zeigt und keine konkreten, nachweisbaren und unzumutbaren Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis oder den Arbeitgeber hat. Was Mitarbeiter „privat“ denken oder tun, geht den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an und gefährdet in der Regel nicht das Arbeitsverhältnis.

Dennoch ist klar, dass ein menschen- und demokratieverachtendes Weltbild, politisch extremistisches oder von Verschwörungstheorien geprägtes Denken sich in sozialen Kontakten bemerkbar macht, provoziert und polarisiert. Ein solcher Mitarbeiter wird für den Arbeitgeber zur Belastung. Genau das ist dann aber entscheidend – und da hatte der „Fehler“ der Arbeitgeberseite in dem vom Arbeitsgericht Köln entschiedenen Fall gelegen: Die Stadt hatte sich angesichts der Ungeheuerlichkeit des aufgedeckten „Geheimtreffens“ zu sehr auf eine Verletzung der Treuepflicht verlassen, angekommen wäre es auf den Nachweis eines eigenen aktiven Eintretens für die verfassungsfeindlichen Ziele oder konkreter Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers. Eine Störung des Arbeitsverhältnisses war nicht ausreichend darstellbar. Arbeitgeber tun daher gut daran, klare Regeln für das Verhalten im Betrieb und am Arbeitsplatz festzulegen und eine stark negative Wahrnehmung ggf. selbst „privaten“ Verhaltens eines Mitarbeiters mit extremistischer Gesinnung beweissicher festzuhalten. Schaffen Sie gut dokumentierbare Möglichkeiten, sich zu beschweren oder Besorgnisse zu äußern.

Gerne stehen unsere infomaat-Autoren Ihnen bei Fragen zur Verfügung:

Portrait Dr Isabel Nazari Final

Dr. Isabel Nazari Golpayegani

Fachanwältin für Arbeitsrecht und für Sozialrecht

+49 (0)89 606656-0
E-Mail

© maat Rechtsanwälte