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Krankheitsbedingte Kündigung und betriebliches Eingliederungsmanagement

Abgabe einer datenschutzrechtlichen Einwilligung darf nicht zur Voraussetzung für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) gemacht werden

BAG v. 15.12.2022 – 2 AZR 162/22

 

Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Arbeitnehmerin war seit 2014 arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 beantragte die Arbeitnehmerin die Durchführung eines Inklusionsverfahrens. In der Folge leitete die Arbeitgeberin ein bEM ein. Mit dem Einladungsschreiben übersandte die Arbeitgeberin eine datenschutzrechtliche Einwilligung in der u.a. die Zustimmung zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten enthalten war. Die Arbeitnehmerin unterschrieb diese nicht, sondern bat um Rücksprache und passte Formulierungen in dem Formular an. Die Arbeitgeberin wies die Arbeitnehmerin mehrfach darauf hin, dass die Durchführung des bEM ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht möglich sei. Im Dezember 2019 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Inklusionsamts zur Kündigung der Arbeitnehmerin. Diese wurde mit Bescheid aus Mai 2020 erteilt. Mit Schreiben vom 26.05.2020 kündigte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin ordentlich zum Jahresende.

Die von der Arbeitnehmerin dagegen erhobene Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Das LAG änderte das Urteil und gab der Klage statt. Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG.

 

Unbegründetes Verlangen zur Einwilligung in Datenverarbeitung ist rechtswidrig

 

Die auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung sei nur durch in der Person liegende Gründe bedingt, wenn ausgeschlossen sei, dass es mildere Mittel zur Vermeidung zukünftiger krankheitsbedingter Fehlzeiten gäbe. Mildere Mittel seien Maßnahmen wie die Umgestaltung des Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderen, dem Gesundheitszustand entsprechenden Arbeitsplatz. Hierzu gehöre aber auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, die im Rahmen eines bEM als zielführend erkannten Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen.

Hier durfte die Arbeitgeberin die Durchführung des bEM nicht von der Einwilligung in die Datenverarbeitung abhängig machen. § 167 Abs. 2 SGB IX verlangt nur eine Aufklärung des Arbeitnehmers über Art und Umfang der erhobenen Daten. Eine Einwilligung ist nicht vorgesehen und ist damit auch keine Voraussetzung für das bEM. Die Arbeitgeberin hätte daher das bEM auch ohne eine solche Einwilligung einleiten können. Das bEM sei von einem konsensualen Prinzip geprägt. So sei es in einem ersten Schritt im Rahmen des offenen Suchprozesses sinnvoll, das Vorgehen im bEM einschließlich der notwendigen Beteiligten zu klären. In einem weiteren Schritt hätte man mit allen Verfahrensbeteiligten festlegen können, ob und in welchem Umfang Gesundheitsdaten zu verarbeiten sind und auf welche Weise dies rechtskonform zu tun ist. Die Arbeitgeberin hätte daher nicht auf der Einwilligung beharren dürfen. Hätte sich die Arbeitnehmerin hingegen geweigert, im Rahmen des bEM erforderliche Arztberichte etc. vorzulegen, wäre die Arbeitgeberin ggfs. berechtigt gewesen, das bEM zu beenden, ohne dass sie dadurch verfahrensrechtliche Nachteile hat.

 

Volle Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess bei fehlerhafter Durchführung des bEM

 

Hat der Arbeitgeber trotz bestehender Verpflichtung kein bEM durchgeführt, trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass auch mit einem bEM die Reduktion der Fehlzeiten nicht gelungen wäre.

Wurde ein bEM angeboten, kam es aber bei der Durchführung zu Verfahrensfehlern, sind diese nur relevant, wenn sie dazu geeignet waren, die Ziele des bEM, also die Reduktion der Fehlzeiten, zu beeinflussen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer gerade wegen dieses Fehlers der Durchführung nicht zugestimmt oder das bEM abgebrochen hat.

Die häufige Praxis datenschutzrechtliche Erklärungen mit der Einladung zu einem bEM zu verbinden, sollte vor dem Hintergrund der Entscheidung überdacht werden.

Die Arbeitgeberin konnte nicht nachweisen, dass ein bEM keinen Erfolg gehabt hätte. Das BAG bestätigt, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit habe, die objektive Nutzlosigkeit eines bEM zu belegen, wobei er aber alle, bei realistischer Betrachtungsweise in Betracht kommenden Möglichkeiten der Reduktion der Fehlzeiten ausschließen können müsse.

Bei der Arbeitnehmerin war dies nach Auffassung des BAG trotz der langen Arbeitsunfähigkeit nicht gegeben. Es seien noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft gewesen, die zu einer Besserung des Gesundheitszustandes hätten führen können. Insbesondere kamen hier noch technische Hilfsmittel in Betracht, die man hätte zur Verfügung stellen müssen. Die Arbeitgeberin könne sich ohne durchgeführtes bEM auch nicht darauf berufen, ihr seien Therapiemöglichkeiten nicht bekannt gewesen, so dass sie diese bei ihrer Kündigungsentscheidung nicht habe berücksichtigen können.

 

Keine Auswirkung der Zustimmung des Inklusionsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung auf die Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess bei fehlerhafter Durchführung des bEM

 

Auch die erfolgte Zustimmung des Inklusionsamts zur Kündigung führe nicht dazu, dass das bEM unterbleiben konnte. § 167 Abs. 2 SGB IX sehe eine solche Kompetenz des Inklusionsamts nicht vor. Die Entscheidung des Inklusionsamts betreffe zudem den bereits gefassten Kündigungsentschluss des Arbeitgebers und könne daher den konsensualen Suchprozess des bEM nicht ersetzten.

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André Schiepel

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