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von Liv-Loreen Perkhoff LL.M.
Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um eine Vorabentscheidung bezüglich der Frage ersucht, ob die Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. inhaltsgleiche Regelungen in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Länder in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 /104/EG über die Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie) fällt. Ferner soll geklärt werden, ob die Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie eine Bereichsausnahme i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zulässt. § 1 Abs. 3 Nr. 2b nimmt Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern die zum öffentlichen Dienst gehören von der Geltung des Gesetzes aus, wenn Aufgabenverlagerungen zwischen den Arbeitgebern stattgefunden haben, von denen der Arbeitnehmer betroffen ist.
Sachverhalt: Im Ausgangsverfahren streiten die Parteien über die Verpflichtung des Klägers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei einem Drittunternehmen zu erbringen. Der Kläger ist bei der Beklagten beschäftigt. Die privatrechtlich organisierte Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Ihr Träger und einziger Gesellschafter ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Beklagte besitzt keine nach dem nationalen Recht zur Arbeitnehmerüberlassung erforderliche Erlaubnis. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TVöD Anwendung. Im Jahr 2018 gliederte die Beklagte verschiedene Aufgabenbereiche auf eine neu gegründete Service GmbH aus. Diese Ausgliederung war mit einem Betriebsteilübergang verbunden. Auch der Arbeitsplatz des Klägers war von der Ausgliederung betroffen. Der Kläger machte von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch. Seit Juli 2018 erbringt der Kläger seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, auf Verlangen der Beklagten, im Wege der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD bei der Service GmbH. Das fachliche und organisatorische Weisungsrecht oblag der Service GmbH. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 4 Abs. 3 TVöD waren gegeben.
Entscheidung: Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt maßgeblich davon ab, ob eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD überhaupt den Tatbestand einer Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie erfüllt. Sollte dies der Fall sein, ist ferner darüber zu entscheiden, ob die Bereichsausnahme i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG mit der Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie vereinbar ist.
Nach den Vorgaben des Artikels 1 Abs. 1 und Abs. 2, sowie Art. 3 Abs. 1b, Art. 3 Abs. 1c der Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie könnte die Personalgestellung begrifflich eine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne der Richtlinie darstellen. Allerdings hält der Senat es für denkbar, dass die Personalgestellung aufgrund ihrer Besonderheiten und verfolgten Ziele, so maßgeblich von dem Leitbild der Leiharbeit abweicht, dass sie nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wird. Denn das Instrument der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD eröffnet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis mit seinem vertraglichen Arbeitgeber mit dem bisherigen Vertragsinhalt und zu den bisherigen Beschäftigungsbedingungen fortzusetzen. Es diene daher dem Schutz der Arbeitnehmer und ihrer Interessen. Hinzu käme, dass unklar sei, ob die Personalgestellung das Merkmal der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ des vertraglichen Arbeitgebers erfülle. Der Vertragsarbeitgeber würde keine Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anbieten. Die „wirtschaftliche Tätigkeit“ sei aber eine der Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Richtlinie.
Für den Fall, dass der EuGH eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie fallen lässt, wirft das BAG (Vorlagebeschluss v. 16.6.2021 – 6 AZR 390/20) die Frage auf, ob die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG mit der Richtlinie im Einklang steht. Der Senat vertritt, dass Arbeitnehmer in Unternehmen der öffentlichen Hand, die gem. § 4 Abs. 3 TVöD an einen Dritten gestellt werden, von den Schutzbestimmungen des AÜG ausgenommen werden können. Der Senat stellt wiederum den Schutzzweck der Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie in das Zentrum seiner Erwägungen. Es weist insbesondere darauf hin, dass der von der Richtlinie bezweckte Schutz durch die § 4 Abs. 3 AÜG erreicht werde. Ein ausreichender Schutz sei über § 4 Abs. 3 TVöD selbst gewährleistet, sodass ein Rückgriff auf das AÜG nicht geboten erscheint. Eindringlich erläutert das BAG, dass die Anwendung der Richtlinie und des AÜG in diesen Fällen den Schutz der Arbeitnehmer tatsächlich verschlechtern könnte, da sie in den Fällen des § 4 Abs. 3 AÜG zur Folge hätte, dass der Arbeitnehmer im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang beim Vertragsarbeitgeber von Kündigung bedroht wäre.
Hinweis: Es empfiehlt sich den weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. Für öffentliche Arbeitgeber hätte die Annahme einer unzulässigen Arbeitnehmerüberlassung bei der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD, sowie die Einordnung der Ausnahme nach § 1a Abs. 2 Nr. 2b AÜG als unionsrechtswidrig, erhebliche Auswirkungen. Denn im Bereich des öffentlichen Dienstes sind dauerhafte Personalgestellungen seit Jahren möglich und auch sehr verbreitet. Insoweit könnte die bisherige Praxis nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Einsatz von Arbeitnehmern bei einem Drittunternehmen im Wege der Personalgestellung würde künftig einer Genehmigung bedürfen und wäre auf eine Höchstdauer von 18 Monaten begrenzt.
Die Rechtsfolgen bei einem Eingreifen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wäre ein Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zum neuen Aufgabenträger nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 AÜG. Zwar kann der Arbeitnehmer mit einer Festhaltenserklärung das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher verhindern. Das ändert aber nichts daran, dass seine Aufgaben beim vertraglichen Arbeitgeber entfallen sind und das Arbeitsverhältnis damit in seinem Bestand, gefährdet ist.