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von Benedikt Gräfenstein
Das Arbeitsgericht Offenbach hat dem EuGH einen Rechtsstreit zwischen einem Mitarbeiter der Feuerwehr und der Stadt Offenbach zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Sachverhalt: Der klagende Mitarbeiter ist Gruppenleiter bei der Berufsfeuerwehr der Stadt Offenbach und als solcher verpflichtet, an Rufbereitschaften teilzunehmen. Anforderung der Rufbereitschaft ist, dass der Kläger während des Rufdienstes telefonisch erreichbar ist und sich innerhalb von 20 Minuten mit einem Feuerwehrfahrzeug unter Nutzung der Sonderrechte eines Einsatzfahrzeugs die Stadtgrenze Offenbach erreicht. Die Rufbereitschaftsdienste schließen sich unter der Woche an den Normaldienst an und beginnen um 17:00 Uhr und dauern bis 07:00 Uhr. Am Wochenende dauern sie von Freitag 17:00 Uhr bis Montag 07:00 Uhr. In drei Jahren wurden 126 Rufdienste geleistet. Im Dreijahresschnitt gab es jährlich 6,67 Alarmierungen während der Dienste.
Der Kläger machte geltend, bei der Rufbereitschaft handele es sich um Arbeitszeit, die zu vergüten sei. Insbesondere die kurze Frist für die Anfahrt schränke ihn in der Gestaltung seiner Freizeit stark ein.
Entscheidung: Der EuGH (Urteil vom 09.03.2021 – C-580/19 / Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV nach Vorlage durch das Verwaltungsgericht Darmstadt) stellte zunächst klar, dass er nur Hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie entscheide und erteilte dem Gericht Hinweise, wann die Rufbereitschaft im Sinne der der EU-Richtlinie 2003/88 Arbeitszeit ist.
Zunächst hielt der EuGH fest, dass es nach der Richtlinie entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit gäbe und sich beide Begriffe gegenseitig ausschließen würden. Es handele sich dabei um unionsrechtliche Begriffe, deren Festlegung nicht den nationalen Gesetzgebern obliege.
Der EuGH setzt sich sodann mit den verschiedenen Aspekten der Bereitschafszeit und ihrer Bewertung als Arbeitszeit auseinander.
Bereitschaftszeit sei zunächst – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung – immer dann Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhält, auch wenn dieser nicht sein gewöhnlicher Arbeitsort sei und sich dort zur Arbeit bereithalte.
Ebenfalls sei es Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort zwar frei wählen, der Arbeitgeber ihm aber so viele Beschränkungen auferlege, dass objektiv betrachtet, die Möglichkeiten einer Freizeitgestaltung bzw. die Widmung eigener Interessen ganz erheblich beeinträchtigt ist. Umgekehrt sei Bereitschaftszeit dann keine Arbeitszeit, wenn eine solche Beeinträchtigung nicht vorläge.
Der EuGH setzt sich dann damit auseinander, welche Kriterien bei der Beurteilung der Einschränkungen anzulegen sind. Er trennt dabei grundsätzlich zwischen Einschränkungen, die aus der Sphäre des Arbeitgebers stammen und solchen aus der Sphäre des Arbeitnehmers.
Berücksichtigungsfähig seien bei der Bewertung, ob eine Einschränkung vorliegt, die Bereitschaftsdienst zur Arbeitszeit machen kann, nur solche, die durch Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats, durch Tarifvertrag, den Arbeitsvertrag und Arbeitsordnung und andere Regelungen des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer auferlegt seien.
Organisatorische Schwierigkeiten, die eine Bereitschaftszeit mit sich bringen, die sich aus natürlichen Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers ergeben, können bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden. Insbesondere die Wahl des Wohnorts könne regelmäßig nicht ausschlaggebend sein. Sei der Wohnort mit dem Ort der Arbeitsleistung identisch, reiche auch die Verpflichtung sich dort dem Arbeitgeber zur Verfügung zu halten nicht aus, um den Zeitraum zur Arbeitszeit zu machen.
Die nationalen Gerichte hätten dann in einer Gesamtschau festzustellen, ob sich aus den Konsequenzen des konkreten Bereitschaftsdienstes und den sich daraus für den Arbeitnehmer ergebenden Beschränkungen hinsichtlich seiner Freizeitgestaltung insgesamt derartige Einschränkungen ergeben, sodass Arbeitszeit in der Form von Bereitschaftsdienst vorliegt. Insbesondere die Frist, mit der der Arbeitnehmer die Tätigkeit aufzunehmen habe, sei für die Beurteilung relevant. Der Arbeitnehmer müsse die Möglichkeit behalten, seine Freizeit zu planen und zu gestalten. Relevant sei dabei auch, wie oft die Inanspruchnahme erfolge und ob der Arbeitnehmer Ausrüstung mit sich führen müsse oder anders noch stärker eingebunden sei. Es seien auch Erleichterungen zu berücksichtigen, die der Arbeitgeber gewähre, etwa ein Dienstfahrzeug oder – wie hier – die Möglichkeit, Sonderrechte im Straßenverkehr in Anspruch zu nehmen. Wesentliches Kriterium bliebe es aber, dass die Rufbereitschaft nicht schon grundsätzlich wegen der kurzen Reaktionszeit zu einer Einschränkung führe. Bereitschaftsdienst, der keine Arbeitszeit sei, sei uneingeschränkt – mit Ausnahme der Zeiten tatsächlicher Inanspruchnahme – als Ruhezeit zu werten. Allerdings sei der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu berücksichtigen.
Die Vergütung solcher Bereitschaftszeiten sei durch die europarechtlichen Regelungen nicht festgelegt.
Hinweis: Bei entsprechend engen Vorgaben durch den Arbeitgeber, kann Rufbereitschaft außerhalb der Betriebsstätte als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzrechts als Teil des EU-Sozialrechts gelten. Künftig sollte bei der Festlegung von Arbeitszeit darauf geachtet werden, dass Rufbereitschaft von deutschen Gerichten unter Umständen arbeitsschutzrechtlich als Arbeitszeit angesehen werden kann und insoweit auch im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes bei der Beachtung der Höchstarbeitszeit berücksichtigt werden muss. Um eine Berücksichtigung im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes zu vermeiden, wäre die Rufbereitschaft so zu gestalten, dass Mitarbeiter nicht objektiv und erheblich in der Gestaltung der Freizeit eingeschränkt sind. Eine gesonderte Vergütungspflicht von Rufbereitschaft ist EU-rechtlich nicht abzuleiten.