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Verjährung von Urlaubsansprüchen bei Verletzung arbeitgeberseitiger Hinweisobliegenheiten

von Katharina Kanne

Sachverhalt: Die Parteien streiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über die finanzielle Abgeltung von 101 Urlaubstagen. Die Klägerin war vom 01.11.1996 bis 31.07.2017 bei der Beklagten beschäftigt und verlangte nach ihrem Ausscheiden Urlaubsabgeltung für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen Urlaubstage. Die Beklagte lehnte den Anspruch ab und erhob die Einrede der Verjährung. Nachdem die Vorinstanzen in der Sache entschieden hatten, legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Sache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung der Frage vor, ob Urlaubsansprüche verjähren können, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, die Ansprüche wahrzunehmen.

Entscheidung: Mit Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21 (LB/TO) entschied der EuGH, dass Art. 7 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 II der EU-Grundrechte-Charta dahingehend auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach einer Frist von drei Jahren verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. Der EuGH knüpft insofern an seine Rechtsprechung zu den Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers an. Bereits 2018 hatte der EuGH entschieden, dass kein „automatischer“ Verfall des Urlaubs durch Zeitablauf eintritt, sondern Urlaub nur dann verfällt, wenn der Arbeitnehmer freiwillig auf Urlaub verzichtet, nachdem der Arbeitgeber ihn in die Lage versetzt hat, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-684/16; vgl. auch BAG, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 541/15).

Der EuGH weist in seinem aktuellen Urteil darauf hin, dass der Anspruch von Arbeitnehmern auf bezahlten Urlaub zwar grundsätzlich einer dreijährigen Verjährung unterliegen könne. Arbeitgeber müssten aber nach Unionsrecht dafür sorgen, dass Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch wahrnehmen können. Daher sei die Mitwirkung des Arbeitgebers unerlässlich dafür, dass Urlaubstage erlöschen. Wenn der Arbeitgeber sich gegen späte Anträge seiner Arbeitnehmer wegen nicht genommenen Jahresurlaubs wappnen wolle, ist es nach Ansicht des EuGH seine Sache, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen, indem er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber den Arbeitgebern nachkomme. Falls der Arbeitgeber dies versäumt habe, dürfe dem Anspruch auf bezahlten Urlaub demnach nicht mit der Einrede der Verjährung begegnet werden.

Hinweis: Es handelt sich zunächst nur um die Entscheidung des EuGH zur Vorlagefrage des BAG. Dieses wird in der Sache noch entscheiden – die Entscheidung dürfte jedoch klar sein: wenn der Arbeitgeber seine Hinweisobliegenheiten nicht ordnungsgemäß erfüllt, bleibt die Erhebung der Einrede der Verjährung erfolglos. Arbeitgeber können sich übrigens nicht erfolgreich auf den Standpunkt stellen, vor dem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 nicht gewusst zu haben, dass sie Hinweisobliegenheiten treffen. Die Rechtsprechung gewährt keinen Vertrauensschutz. Sie reicht vielmehr bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist (23.11.1996) der Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG zurück (vgl. BAG 26.05.2020, 9 AZR 259/19). Vor dem Hintergrund der aktuellen Entscheidung zur Verjährung empfiehlt es sich umso mehr, die Hinweisschreiben an die Arbeitnehmer dahingehend zu überprüfen, ob sie die Anforderungen an die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers erfüllen und ggf. Anpassungen vorzunehmen.

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