Wir sind eine überörtliche Fachkanzlei für Arbeitsrecht und bundesweit tätig. Wir beraten große Konzerne, mittelständische Unternehmen, soziale und öffentlich-rechtliche Organisationen sowie Führungskräfte. Als Spezialisten sind wir auch in der betrieblichen Altersversorgung und an Schnittstellen zum Gesellschafts-, Sozial- und Verwaltungsrecht tätig.
von Dr. Jutta Cantauw
Das Bundessozialgericht (BSG) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein Unfall auf dem Weg, den ein Arbeitnehmer vom Homeoffice zur Kinderbetreuungseinrichtung bzw. umgekehrt zurücklegt, versicherter Arbeitsunfall i. S. v. § 8 SGB VI ist.
Sachverhalt: Geklagt hatte eine Krankenversicherung mit dem Ziel, ihr entstandene Behandlungskosten von der Berufsgenossenschaft ersetzt zu erhalten. Die bei der Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmerin hatte ihre Tochter zum ca. 700 m von der Wohnung entfernten Kindergarten gebracht, um sodann an ihrem Arbeitsplatz zu Hause zu arbeiten. Auf dem Rückweg zur Wohnung war sie mit dem Fahrrad gestürzt und brach sich das rechte Ellenbogengelenk. Dadurch waren Behandlungskosten in Höhe von ca. 19.000,00 EUR entstanden. Die Krankenkasse hatte u. a. damit argumentiert, dass nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII auch das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges versichert sei, um Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. Dabei könne es keinen Unterschied machen, dass es sich in der vorliegenden Konstellation bei der Tätigkeit in einem Homeoffice nicht um einen Weg zu oder vom betriebli-chen Arbeitsplatz handele, sondern umgekehrt von und zu der (häuslichen) Arbeitsstätte, gerade m die Voraussetzungen für eine ungestörte Arbeit im Homeoffice zu schaffen. Im Übrigen verwies die Versicherung auch darauf, dass der Ausschluss von Telearbeitnehmern vom Unfallversicherungsschutz verfassungswidrig sei. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Tätigkeiten in einem Homeoffice ganz überwiegend von Frauen bzw. Müttern erbracht würden, sei eine grundgesetzkonforme Auslegung der Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII erforderlich.
Entscheidung: Die Klage der Krankenversicherung hatte weder vor dem Sozialgericht, noch vor dem Landessozialgericht, noch vor dem Bundessozialgericht Erfolg. Nach Auffassung des BSG (Urteil vom 30.01.2020 – B 2 U 19/18 R) handelte es sich insbesondere nicht um einen versicherten Wegeunfall i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Dies setzte begriffsnotwendig voraus, dass der Ort des privaten Aufenthalts und der versicherten Tätigkeit, zwischen denen der Weg zurückgelegt wird, räumlich auseinanderfallen würden. Dies sei bei einer Tätigkeit im Homeoffice naturgemäß nicht der Fall. Deshalb scheide auch Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII aus. Danach sei auch das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges versichert, um Kinder wegen der beruf-lichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. Bei dem Weg zur Kinderbetreuung müsse es sich aber um einen von dem versicherten Weg abweichenden Weg handeln. Ein solcher versicherter Weg läge aber bei Homeoffice-Tätigkeiten gerade nicht vor. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift sei mangels planwidriger Regelungslücke nicht möglich. Es sei davon auszugehen, dass die Regelung vom Gesetzgeber 1971 bewusst und abschließend getroffen wurde. Die Norm sei später unverändert in das SGB VII übernommen worden. Da es damals bereits Homeoffice gegeben habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diesen Personenkreis bei seiner Formulierung übersehen habe. Die von der Krankenversicherung begehrte Erweiterung des Versicherungsschutzes müsse der Gesetzgeber vornehmen.
Hinweis: Aktuell nimmt die Tätigkeit im Homeoffice angesichts der Corona-Krise exponentiell zu. Bereits zuvor war ein starker Anstieg zu verzeichnen. Mit der vorliegenden Entscheidung setzt das BSG seine schon bisher äu-ßerst restriktive Handhabung des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice fort. Unter anderem hatte das BSG im Jahr 2016 entschieden, dass kein Unfallversicherungsschutz besteht, wenn sich der Homeoffice-Mitarbeiter in der Küche ein Getränk holt und auf dem Weg dorthin ausrutscht (sog. „eigenwirtschaftliche Tätigkeit“). Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber mit Blick auf die wachsende Bedeutung der Homeoffice-Tätigkeit bald aktiv wird. In der Tat ist schwer nachvollziehbar, aus welchen Gründen der (Um-)Weg von der Wohnung zur Kita im Rahmen des Arbeitsweges eines Arbeitnehmers versichert sein soll, dies aber beim Homeoffice-Arbeitnehmer wegen des Zusammenfallens von Wohnung und Arbeitsstätte anders sein soll. Letztlich werden damit im Homeoffice tätige Eltern hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes eklatant schlechter gestellt.